WIEN – In der modernen Zahnheilkunde sind Hilfsmittel zur Sehvergrößerung nicht mehr wegzudenken. Gerade in der Endodontie werden Lupenbrillen und Mikroskope für mikrochirurgische Eingriffe wie Wurzelspitzenresektion verwendet.
Prof. Dr. Peter Kotschy, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, ist Spezialist für die Mikroskopzahnheilkunde und Parodontologie. Chefredakteurin Jeannette Enders sprach mit Prof.
Dr. Kotschy über die Mikroskopzahnheilkunde und seine Vorteile für die praktische Behandlung.
Jeannette Enders: Prof. Dr. Kotschy, Sie verwenden seit den 70er-Jahren vergrößernde Sehhilfen und gelten als einer der Pioniere der mikroskopunterstützten Präzisionszahnheilkunde. Worin sehen Sie
den Unterschied zwischen der Mikroskopzahnheilkunde und der Lupenzahnheilkunde?
Prof. Dr. Peter Kotschy: Die Frage ist einfach zu beantworten. Mit dem Mikroskop, egal welches verwendet wird, hat man eine präzisere Sicht. Die Lupe ermöglicht eine 3,4-fache Vergrößerung, das Mikroskop dagegen eine 20,4-fache Vergrößerung. In der Endodontie können Kanaleingänge, Risse oder Sprünge während einer endodontischen Behandlung mithilfe einer Lupe nicht gesehen werden.
Es ist daher von wesentlichem Vorteil, sich eines Mikroskops zu bedienen. Aber ich verwende das Mikroskop in der gesamten Zahnheilkunde! Auch für die Erstuntersuchung benutze ich das Mikroskop.
Mithilfe des Mikroskops kann kariös erkrankte Zahnsubstanz unter optimaler Schonung des Restzahnes vollständig entfernt werden. Damit wird erreicht, dass unter gelegten Füllungen oder angefertigten Zahnersatz keine Sekundärkaries entstehen kann. Wird die zahnärztliche Arbeit randdicht gelegt,
und dabei hilft das Mikroskop entscheidend, ist die Haltbarkeit dieser Arbeit um ein Vielfaches
gesteigert und der Zahn maximal geschont. Außerdem kann durch die große Vergrößerung
Fissuren- und Approximalkaries bereits im Anfangsstadium entdeckt und randundichte
Füllungen oder Kronen können rechtzeitig repariert werden.
Seit wann nutzen Sie das Mikroskop?
Seit 1999. Ich verwende das Mikroskop in der Ordination bereits bei der Erstuntersuchung. Wir möchten dem Patienten zeigen, was in seinem Mund zu sehen ist. Mittels einer Fernsehbrille kann der Patient die Behandlung verfolgen. Jeder Arbeitsgang wird vergrößert gesehen, während bislang mit der Sonde oder rotierenden Schleifkörpern beziehungsweise Bohrern hauptsächlich „gefühlt“ wurde, so ist es heute 100 Prozent „sehen“. Ein weiterer Vorteil: Der Patient ist abgelenkt und entspannt.
Können Sie uns noch einige Bereiche in der konservierenden Zahnheilkunde nennen, in denen das Mikroskop eingesetzt werden kann?
Mithilfe des Mikroskops kann das weitverzweigte Kanalsystem menschlicher Zähne bei allen einigermaßen geraden Kanälen fast bis zur Wurzelspitze direkt eingesehen werden. Bei gekrümmten Kanälen ist der Einblick etwa zu 60 Prozent gegeben. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind die Entfernung von Wurzelkanalhemmnissen, Entfernung technischer Arbeiten, zum Beispiel die Wurzelstifte oder parapulpärer Stifte, und von abgebrochenen Wurzelkanalinstrumenten, Revision alter Wurzelfüllungen und damit Entfernung von alten Wurzelfüllmaterialien, mikrochirurgischer Verschluss von Fosse Route, Therapie interner Resorptionen, mikrochirurgische Wurzelspitzenresektionen, Entdeckung von Zahnsprüngen und so weiter.
Die Hilfsmittel müssen den Anforderungen der Arbeit mit dem Mikroskop entsprechend angepasst werden. Gibt es solche Hilfsmittel beziehungsweise Instrumente für die Mikroskopzahnheilkunde?
Selbstverständlich verlangt der Einsatz des Mikroskops ein neues ergonomisches Konzept, neue Instrumente und eine geänderte Anwendungsergonomie der Materialien. Es gibt einen eigenen Instrumentensatz von Hu-Friedy, entwickelt von mir. Diese Instrumente können sowohl mit „unbewaffnetem“ Auge, im Lupenbereich 3,5- bis 5,5-fach als auch im Mikroskop zwischen 3,5- und 25-facher Vergrößerung eingesetzt werden. Instrumente für feine Arbeiten wurden mit schlanken Griffformen ausgestattet. Instrumente, bei denen man Kraft anwenden muss, zum Beispiel bei Exkavatoren, sind dagegen mit einer dicken Griffform ausgestattet. Der Arbeitsteil und die Instrumentenspitze sind schwarz gestaltet, damit Lichtreflexionen nicht das Auge belasten.
Das Mikroskop selbst sollte eine Fußsteuerung haben, damit der Behandler mit den Händen frei arbeiten kann. Das Fokussieren sollte per Fußdruck funktionieren. Ob man mit Autofokus beispielsweise mit dem Zeiss pro ergo arbeitet, muss der Behandler selbst ausprobieren.
Ich empfehle, sich verschiedene Modelle in die Ordination stellen zu lassen und mit diesen Probe
zu arbeiten.
Wie viele Zahnärzte arbeiten in Österreich mit einem Mikroskop?
In Österreich wurde das Mikroskop in der Zahn-, Mundund Kieferheilkunde seit etwa Mitte der 90er-Jahre spärlich in Dentallaboratorien zur Überprüfung von Füllungsrändern, Gussverfahren etc. verwendet.
In kieferchirurgischen Zentren und in einigen interessierten Ordinationen wurde das Mikroskop
fast ausschließlich für die Wurzelspitzenresektion eingesetzt. Es hat sich gezeigt, dass dadurch
die Erfolgsrate der Wurzelspitzenresektion mit retrograder mikrochirurgischer Wurzelfüllung dramatisch erhöht werden konnte. Derzeit arbeiten etwa 26 Zahnärzte in Österreich mit dem Mikroskop. Zum Vergleich: In Holland arbeiten etwa 600 Zahnärzte mit dem Mikroskop. In den USA muss jeder Endodontologe mit dem Mikroskop umgehen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Erschienen in der Dental Tribune Austria 8+9/2009.
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