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„Ich find’ das toll, wenn du mich bohrst!“

Wer der Zahnärztin nicht traut, bekommt einen Spiegel, damit er genau beobachten kann, was gerade passiert. Der Trick stammt aus der zahnärztliche Hypnose. (Foto: Dr. I. von Gymnich)
Dr. Isabell von Gymnich, Deutschland

Dr. Isabell von Gymnich, Deutschland

Fr. 1 Oktober 2010

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REGENSBURG – Die Behandlung von Kindern kann zur Herausforderung werden – für die Eltern, den Zahnarzt und vor allem für die kleinen Patienten/ -innen. Eine gezielte Kommunikation kann zum Behandlungserfolg führen und vermeiden, dass sich Kinder vor dem nächsten Zahnarztbesuch fürchten.

Wer sich mit Kindern intensiv beschäftigt, kann oft intuitiv erfassen, auf welche Weise man Zugang zu seinen kleinen Patienten/-innen bekommt und dies auch umsetzen. Wird diese Fähigkeit nun aber trainiert, die Kommunikationskompetenz im gesamten Team geschult und dann bewusst eingesetzt, hat man eine Trickkiste zur Verfügung, mit der auch die interessanten Patienten/-innen zur Behandlung zu bewegen sind. Gleichzeitig kann durch den gezielten Einsatz von Körpersprache und nonverbalen Signalen eine entspannte Ordinationsatmosphäre geschaffen werden, die den Eltern vermittelt, dass sie mit ihren Kindern willkommen sind und eine professionelle Behandlung auf hohem Niveau erwarten dürfen. Diese Botschaft zu vermitteln ist zunehmend bedeutsam, da viele kleine Patienten/-innen schon eine regelrechte Odyssee hinter sich haben. Dementsprechend angespannt sind die Begleitpersonen, die in der Vorgeschichte bereits Behandlungsabbrüche, Verweigerungsaktionen oder Tobsuchtsanfälle miterlebt haben und von ratlosen und verunsicherten Kollegen/-innen unverrichteter Dinge wieder heimgeschickt oder hinauskomplimentiert wurden. Diese Verunsicherung übertragen Eltern oft unabsichtlich durch unbewusst ausgesendete Signale auf ihre Kinder, die sich dann in der Ordination entsprechend präsentieren. Es ist also zunächst von großer Wichtigkeit, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen, denn erst dann kann sich die Situation derart entspannen, dass Sie gemeinsam mit der Helferin eine unbeschwerte Beziehung zu ihrem Patienten aufbauen können.

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Alle Mitglieder des Ordinationsteams sollten gemeinsam ein Kommunikationstraining durchlaufen, damit es bezüglich der Fachinhalte und der verwendeten Sprachmuster keine Abweichungen gibt. So kann bereits bei der telefonischen Terminvergabe signalisiert werden, dass in der Ordination für jede noch so spannende Aufgabe bislang eine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde. Und die Assistentin, die das Kind aus dem Wartezimmer abholt, erzählt, sie habe sich schon den ganzen Tag gefreut, dass sie heute Besuch bekommt und sie ihr tolles „Tigerzimmer“ mal herzeigen kann etc. Es gilt also, einen anderen Kontext zu präsentieren, der dem herkömmlichen Bild einer zahnärztlichen Ordination widerspricht.

Eltern, bitte nicht helfen!
Die Begleitpersonen werden vorab gebeten, das Kind nicht auf den Zahnarztbesuch vorzubereiten, sodass es völlig unbefangen in die Ordination kommen kann. Sie werden weiterhin gebeten, sich zurückzuhalten und eine beobachtende Haltung einzunehmen, damit eine individuelle Beziehung zwischen dem Kind und dem Behandlungsteam entstehen kann. Wichtig ist, dass auch die Assistentin korrigierend eingreifen darf, wenn die Eltern – oft aus Unsicherheit – den Beziehungsaufbau verunmöglichen. Dazu muss der Zahnarzt eine stabile Teamstruktur gestalten (horizontal oder vertikal), in der die Rollenverteilungen, die Verantwortlichkeiten und die Kommunikationsbeziehungen (wer berichtet wem, was, wann?) feststehen. So zeigt das ganze Team Kompetenz und Souveränität, was den Eltern die Sicherheit gibt, sich zurückzunehmen, sodass Sie zu ihrem Kind einen Rapport, also eine zwischenmenschliche verbale und nonverbale Beziehung, aufbauen können.

Eine positive Prägung
Das „metakommunikative Axiom“ von Paul Watzlawick (1921–2007) besagt, dass man nicht nicht kommunizieren kann; sobald man sich wahrnimmt, kommuniziert man allein durch sein Verhalten. Diese Tatsache ermöglicht die Kontaktaufnahme auch mit kleineren Kindern, die noch keiner Sprache mächtig sind oder aus einem anderen Kulturkreis stammen. Hier ist die Körpersprache gefragt, die – wenn sie mit der Empathie, die Sie empfinden, kongruent ist – eine erste nonverbale Kontaktaufnahme ermöglicht, in der Zahnärzte/-innen ihre Harmlosigkeit präsentieren können. Auch rhythmische Geräusche, pentatonische Klangfolgen, Reime, Liedchen, Handpuppen oder Fingerspiele helfen, die ganz kleinen Patienten/-innen für sich zu gewinnen (Abb. 1). Größere Patienten/-innen können je nach Alter und Verhalten zunächst gespiegelt werden, indem Teammitglieder Haltung und Ausdruck übernehmen und nachahmen. Assistentinnen, die lustige Grimassen schneiden oder Luftballons zu Tieren knoten können, sind ebenso gewinnbringend einsetzbar, da hier zunächst eine positive Stimmung gezielt erzeugt wird und die Untersuchung der Zähne in einen völlig anderen Kontext gesetzt wird („reframing“). Es wird sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern ein „Yes-Set“ erzeugt; die bisher mit dem Zahnarztbesuch verbundene Aufregung wird überflüssig. Auch Patienten/-innen, die zunächst eine direkte Kommunikation verweigern, können mit unglaublichen Geschichten von ihrem Haustier oder einer haarsträubenden Quatschgeschichte aus der Reserve gelockt werden. Hier ist die Kunst des sich selbst aufrechterhaltenden Gesprächs gefragt. Manche Kinder können sehr nachdrücklich schweigen, andererseits können manche Zahnarzthelferinnen umso unbeschwerter erzählen. Es ist wichtig, dass wirklich alle in dem Behandlungsraum – der behandelnde Zahnarzt eingeschlossen – signalisieren, alle Zeit der Welt zu haben, um über Nebensächlichkeiten zu plaudern und einen Rapport zum Patienten aufzubauen. Dadurch erfolgt eine Unterbrechung bekannter Abläufe: Das Kind „muss“ zum Zahnarzt gehen, der „muss“ die Zähne anschauen. Man kann schon beim Lesen feststellen, welcher Druck sich da aufbauen lässt.

Hat man die Aufmerksamkeit des Patienten gewonnen, kann man durch stringente Verwendung ausschließlich positiver Sprachmuster sein geplantes Vorgehen schildern, und durch das Prinzip der kleinen Schritte und den Einsatz des „tell-show-do“-Verfahrens, absolute Aufrichtigkeit und das Versprechen, ganz vorsichtig zu sein, das Vertrauen des Patienten gewinnen. In unserer Ordination wird jeder neue Patient auf diese Weise beim ersten Termin „behandelt“, egal ob eine negative Vorerfahrung besteht oder der Patient völlig unbeschwert herein- kommt. In der Regel bestehen nach kürzester Zeit bei keinem Kind irgendwelche Bedenken, sich die Zähne zählen zu lassen. Wer uns nicht traut, bekommt einen Spiegel, damit er genau beobachten kann, was gerade passiert. Dieser Trick stammt aus der zahnärztlichen Hypnose und induziert durch die Handkatalepsie, die Blickfixation und die Dissoziation über den Spiegel eine kurze Trance, in der die Zähne untersucht werden können (Abb. 2a und b).

Wird bei der Untersuchung eine Behandlungsnotwendigkeit festgestellt, ist die Einschätzung der Kooperationsfähigkeit des Patienten bezüglich der durchzuführenden Maßnahmen die zentrale Aufgabe vor Behandlungsbeginn. Je nach Alter, Entwicklungsstand und Umfang der Behandlung werden Praxistermine, Dormicumbehandlungen oder Zahnsanierungen geplant. Altersgerechte Ansprache und Information unter Verwendung positiver Sprachmuster kann bereits Dreijährige dazu befähigen, bei komplexeren Behandlungen mitzuarbeiten, andererseits sind manche Elfjährige auch nach entsprechenden Erklärungen und Bemühungen nicht ohne die Hilfe eines Anästhesisten zu behandeln. Wird die Behandlung in der Ordination durchgeführt, sollten alle Behandlungsschritte zuvor erklärt, gegebenenfalls positiv umformuliert und demonstriert werden. Wichtig ist, dass die Kinder bei unschönen, aber notwendigen Maßnahmen, wie zum Beispiel bei einer Injektion, sprachlich begleitet („Merkst du eigentlich, wie doll das am Zahn glitzert?“) und für ihre Kooperation fortwährend gelobt werden. Es erfolgt kein Behandlungsabbruch, sondern das Kind wird durch die Behandlung geführt. Das diesbezüglich ruhige und stabile Verhalten des Teams wird so auf den Patienten und dessen Eltern übertragen. Die Eltern wurden im Vorfeld über die Wirkung positiver Sprachmuster informiert und dürfen sich ausschließlich mit Bemerkungen wie:„Das machst du richtig toll“ oder „Heute ging das ja superschnell, weil du den Zahn so ruhig gehalten hast“ zu Wort melden, was für die weitere Behandlung sehr hilfreich ist. Hier wird durch Belohnung des erwünschten Verhaltens der Patient positiv bestärkt, sodass er sich nach der Behandlung im Idealfall nur an seine tolle Mitarbeit erinnert und sich auf den nächsten Termin bereits beim Verlassen der Ordination freut. Negative elterliche Äußerungen im Sinne von: „War das denn jetzt so schlimm?“ können – auch wenn die ganze Behandlung absolut undramatisch verlief – den Patienten in Tränen ausbrechen lassen und sind deshalb untersagt. Eltern, die diese Praxisregel nicht beherzigen, bekommen im Bedarfsfall eine „gelbe Karte“ überreicht, auf der sie nochmals erklärt bekommen, wie sie ihr Kind durch positive Sprachmuster unterstützen können.

Die zahnärztliche Kinderbehandlung mit einer professionellen Kommunikation macht Spaß. Das wunderbarste aller Komplimente bekam ich diesbezüglich vor ungefähr einem Jahr von einem Vierjährigen, der mir mit größter Begeisterung entgegenschmetterte: „Ich find’ das toll, wenn du mich bohrst!“ In diesem Sinne wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen ein fröhliches und entspanntes Arbeiten mit ihren kleinen Patienten/-innen.

Erschienen der Dental Tribune Austria 7+8/2010
 

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