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Urteil: NÖGKK darf vorerst keine kostenlose Narkosen anbieten

Das OGH verbietet NÖGKK vorerst die kostenlose Vollnarkose. © Dmitry Vereshchagin – Fotolia.de
Jürgen Pischel, Dental Tribune Austria

Jürgen Pischel, Dental Tribune Austria

So. 10 Mai 2015

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ST. PÖLTEN – Der NÖGKK ist es vorerst – bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Unterlassungsklage eines Zahnarztes in Pöchlarn, Niederösterreich – verboten, in ihrem Zahnambulatorium in St. Pölten Vollnarkosen zur Zahnbehandlung anzubieten und/oder zu verabreichen, ohne dafür kostendeckende Beiträge zu veröffentlichen und einzufordern.

„Damit hat sich“, so der Kommentar des klagenden Zahnarztes – er musste das Verfahren ohne Unterstützung seiner Kammer durch die einzelnen Instanzen kostenmäßig bisher selbst verantworten und durchziehen –, „der von uns geleistete große Einsatz absolut gelohnt. Der OGH bestätigt mit dieser Entscheidung alle von uns in Form der einstweiligen Verfügung gegen die NÖGKK erwirkten Verbote; dies mit einer einzigen Einschränkung in Form einer Teilabweisung.“

Wegen unlauteren Wettbewerbes hatten im letzten Jahr der Zahnarzt aus dem Bezirk Melk und ein Anästhesist aus Tulln gegen die NÖ Gebietskrankenkasse geklagt, da sie im eigenen St. Pöltener GKK-Zahnambulatorium Zahnbehandlungen unter Narkose erbringen, ohne die entstehenden Kosten an die Versicherten weiterzuberechnen. Alle GKK-Versicherten, gleich wo sie unter Vollnarkose behandelt werden, ob in der Praxis oder im Zahnambulatorium, sollten diese zu denselben Bedingungen bekommen, so das Anliegen der Ärzte.

Das Gericht folgte in einer einstweiligen Verfügung dem Zahnarzt-Begehren nach Gleichbehandlung. Eine Übernahme der Vollnarkosekosten durch den Krankenversicherungsträger für alle Patienten führe nicht zur Besserstellung der Ordinationen, sondern zu mehr Gerechtigkeit für alle Versicherten.

Das Oberlandesgericht Wien bestätigte das Urteil und hatte auch die Forderung der NÖGKK aus dem Landesgerichtsverfahren nach einer „Sicherheitsleistung“ von über 390.000 EUR durch die beiden Ärzte zum Ausgleich eines „drohenden Einnahmenausfalls“ des Zahnambulatoriums durch das Klagebegehren klar zurückgewiesen und als unberechtigt bezeichnet. Trotz einer entsprechenden zu erwartenden Kostenbelastung für die Sozialkassen brachte die NÖGKK den Fall vor den Obersten Gerichtshof (OGH). In seinem Urteil sieht der OGH die von ärzten verlangte Berechnung von angemessenen und gleichen Leistungen zwischen Ambulatorien und freiberuflich tätigen Zahnärzten und Anästhesisten zu gewährleistenden Kostenbeiträgen als nicht ausreichend deutlich im Gesetz geregelt. Eine Urteilsfeststellung, die auch auf andere zahnmedizinische Leistungsbereiche als nur die Narkosebehandlung übertragen werden kann.

Der OGH trifft in seiner Entscheidung u. a. folgende wesentliche Aussagen:

  • auch ohne Gewinnabsicht handelt die NÖGKK mit dem Betrieb eines Zahnambulatoriums im geschäftlichen Verkehr und steht damit im Wettbewerb;
  • die Narkose ist untergeordneter Bestandteil der Zahnbehandlung;
  • Zahnmedizin in Ambulatorien der Sozialversicherungsträger ist nach § 153 Abs. 3 ASVG nur eingeschränkt zulässig;
  • die NÖGKK verstößt offenkundig gegen § 153 Abs. 3 ASVG;
  • wegen dieses Verstoßes handelt die NÖGKK nicht mehr im gesetzlichen Auftrag;
  • die NÖGKK kann sich daher nicht auf eine Ausnahme von der Anwendung des Wettbewerbsrechts berufen;
  • Mitbewerber von Sozialversicherungsträgern, also Ärzte und Zahnärzte, sind auf dem Markt für Gesundheitsdienstleistungen durch Lauterkeitsrecht (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken) geschützt, wenn solche Sozialversicherungsträger gesetzwidrig auf diesem Markt tätig werden;
  • erweiterte Befugnisse von Ambulatorien bewirken Umsatzverluste des niedergelassenen Bereichs von Ärzten und Zahnärzten, wenn in Ambulatorien Leistungen kostenlos erbracht werden, die von Patienten bei niedergelassenen Ärzten zu zahlen wären; durch den von der NÖGKK bewirkten „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ kann der Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern beeinflusst werden;
  • an der drohenden Umsatzverlagerung bestehe kein Zweifel.

Es sei zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht wahrscheinlich, dass dieselben Gerichtsinstanzen im Hauptverfahren – im nun folgenden Zivilprozess – von diesen Ausführungen wesentlich abweichende Rechtsansichten vertreten werden. Eher sei anzunehmen, so die Anwälte des Zahnarztes und des Anästhesisten, dass zumindest in wesentlichen Teilen inhaltlich gleich oder ähnlich judiziert wird.

Bei gleicher Erwartungshaltung könne die NÖGKK viele Kosten durch Verzicht auf einen weiteren Zivilprozess einsparen, müsste aber auch die Kosten aus den bisher bis zum OGH getriebenen Verfahren der Ärzte übernehmen. Die klagenden Ärzte betonen aus dem Ergebnis des bisherigen Verfahrens heraus, dass die gemeinsame Interessensvertretung intensiviert und Kollegen für gemeinsame Vorgangsweisen gewonnen werden sollten.

Das Vorgehen im Zahnambulatorium St. Pölten (örtlich) und das Verabreichen von Vollnarkosen für Zahnbehandlung (inhaltlich) seien als Teil eines inhaltlich und örtlich viel umfassenderen Strebens nach breiterer Gesundheitsversorgung aus den Ambulatorien heraus zu sehen. Weitere gesetzwidrige Vorgangsweisen seitens eines Sozialversicherungsträgers seien nicht ausgeschlossen. „So gesehen ist dieser erfolgreiche Ausgang des EV-Verfahrens sowohl Warnung als auch Ermutigung“, so die Klägerärzte.

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