SALZBURG - Noch immer gehen viele Menschen bei Schmerzen erst dann zum Arzt, wenn die Beschwerden bereits mehrere Monate andauern.
Experten vermissen Therapietreue und Vorbeugung in Schulen
Noch immer gehen viele Menschen bei Schmerzen erst dann zum Arzt, wenn die Beschwerden bereits mehrere Monate andauern. "Werden Schmerzen chronisch, ist die Behandlung wesentlich schwieriger als beim Akutschmerz. Es liegt somit an den Betroffenen, möglichst bald den ersten Schritt des Arztbesuches zu machen und die empfohlene Therapie konsequent anzuwenden", betont Günther Bernatzky, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft ÖSG anlässlich der "European Week against Pain" .
Fünfmal teurer als Akutschmerz
Während der Akutschmerz eine körperlich sinnvolle Reaktion darstellt, gilt dies für den chronischen Schmerz - der mindestens drei Monate dauert oder nach vollständiger Heilung einer Verletzung fortbesteht - nicht. "Vielmehr verschlechtert chronischer Schmerz die Lebensqualität, behindert Freizeit, Sozialleben und Arbeit und ist auch teuer. Wird etwa unspezifischer Rückenschmerz chronisch, steigen die Kosten auf das Fünffache", betont Wilfried Ilias, Präsident Past der ÖSG. Laut WHO verliert alleine Deutschland auf diese Weise jährlich 6,6 Mio. Arbeitsjahre. 0,9 Prozent des gesamten BIP beträgt dieser Verlust, zeigen Zahlen aus Holland.
In Österreich leiden 21 Prozent der Bevölkerung an chronischen Schmerzen, in der gesamten EU jährlich 100 Mio. Menschen. 63 Prozent davon leiden an Rückenschmerzen, 48 Prozent an Gelenkschmerzen, 30 Prozent an Genickschmerzen und 21 Prozent an Schmerzen aufgrund von Arthritis. Das Verständnis der Ärzte für die Schmerzen ist gut, sagen 80 Prozent der Patienten. Dennoch werden viele nicht angemessen behandelt, sind doch etwa 23 Prozent der österreichischen Schmerzpatienten derzeit nicht in Behandlung. Zudem dauert der Beginn der Therapie von chronischem Schmerz nach Diagnosestellung im Schnitt knapp zwei Jahre.
Mängel bei Vorbeugung und Compliance
Die wirksamste und kosteneffektivste Maßnahme ist die Prävention, betonen die beiden Spezialisten, bemängeln aber das Fehlen geeigneter Finanzierungsmodelle dafür. "Schmerz-Prophylaxe muss schon in Kindergarten und Schule beginnen, leidet doch bereits jeder vierte Schüler an Schmerzen", so Bernatzky. Konkret bedeute Vorbeugung hier Bewegung, Körperbewusstsein, Fehlhaltungs-Vermeidung und Training einer aktiven, gesunden Lebensweise, ergänzt Ilias, wozu auch Ernährung gehört. Bei sitzender Arbeit sollte man sich mindestens einmal pro Stunde bewegen. "Dass der Körper altert, ist unumgänglich. Wie sehr er abgenützt wird, kann man aber selbst mitbestimmen", so der Mediziner.
Je früher Diagnose und Behandlungsstart erfolgen und je verlässlicher Patienten das verschriebene Medikament in richtiger Dosis einnehmen, desto eher wird der chronische Schmerz vermieden. In der Praxis gelingt das oft nicht: Jeder vierte Patient, dem ein rezeptpflichtiges Schmerzmittel verschrieben wurde, nimmt laut EU-Daten eine zu niedrige Dosis ein, jeder Achte mit schweren Schmerzen bloß ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament. Bernatzky macht auf pressetext-Anfrage Fehlmeinungen dafür verantwortlich. "Gängig ist der Mythos, dass Opiate süchtig machen, den Tod beschleunigen und das Immunsystem schwächen. Vielmehr schwächt jedoch die fehlende Einnahme die Abwehr und lässt die Krankheit fortschreiten, während adäquate Schmerztherapie die Lebensqualität und Aktivität erhöht."
Mehr Blick über den Tellerrand
Der Schmerzmediziner fordert zugleich mehr multimodale Schmerztherapien, die Medikamente, Medizintechnik, physikalische Medizin, Psychotherapie und auch Komplementärmedizin kombinieren. Für Letztere müsse an der Evidenzbasis noch gefeilt werden. "Immerhin zeigen Studien, dass etwa Akupunktur nach schweren Unfällen oder Operationen den Analgetika-Bedarf senken, chronische Schmerzen lindert und auch Kreuz- und Nackenschmerzen entgegen wirkt. Positive Ergebnisse gibt es auch für aromatische Öle sowie für Musiktherapie."
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