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„Wir haben eine Region auf Chromosom 8 identifiziert, quasi das Haupt-Gen für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.“

Anja Worm, DTI

Anja Worm, DTI

Fr. 12 Juni 2009

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LEIPZIG – Ergebnisse einer Studie am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn weisen auf einen genetischen Faktor für die Entstehung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG-Spalte) hin. In dem Projekt „Genetische Epidemiologie und molekulargenetische Untersuchungen bei isolierten Lippen- Kiefer-Gaumenspalten“ untersuchten die Wissenschaftler das Erbgut von 460 Personen mit einer LKG-Spalte. Bei etwa der Hälfte der Probanden analysierten die Forscher 500.000 genetische Marker und verglichen sie mit jenen einer Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Eine bestimmte Genvariante auf dem Chromosom 8 trat bei den Personen mit LKG-Spalte häufiger auf. Anja Worm, DTI, sprach mit Oberärztin Dr. Elisabeth Mangold, Leiterin des Forschungsprojektes, über die Studie und die bisherigen Ergebnisse.

Welche Faktoren bedingen die Entstehung einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, was weiß man bis jetzt?
Es handelt sich um eine genetisch komplexe Fehlbildung, das heißt ein Zusammenspiel mehrerer ungünstiger genetischer Faktoren, die man vom Vater und der Mutter geerbt hat. Hinzu kommen exogene Faktoren, also Umweltfaktoren, die im Uterus auf das werdende Kind einwirken. Diese Mischung führt bei einer einzigen Person von etwa 700 zur Entstehung der Spalte. Diese Annahme beruhte zunächst auf epidemiologischen Arbeiten, die es schon seit Langem gibt. Sie zeigten, dass bei engen Verwandten von Betroffenen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten wesentlich häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung.

In Ihrem Forschungsprojekt untersuchen Sie seit 2004, ob die isolierte Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auf ein Gen zurückzuführen ist. Was ist das bisherige Ergebnis Ihrer Untersuchung?
Wir wollen herausfinden, welche weiteren genetischen Faktoren, es sind ja mehrere, die Ursache für die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte sind. Über die Entschlüsselung dieser genetischen Hintergründe sollte man dann auch die äußeren Risikofaktoren, die Umweltfaktoren, besser identifizieren können. Das ist eine langfristige Bemühung unseres Projektes. In der jetzt veröffentlichten Arbeit haben wir eine Region auf Chromosom 8 identifiziert, in der ein bislang noch nicht beschriebener und ein offenbar sehr starker genetischer Faktor liegt, quasi das Haupt-Gen für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Das ist ein bahnbrechendes Ergebnis. Diese Region war bisher völlig unbekannt  und es war auch nicht bekannt, dass es doch einen so starken von einem einzelnen Ort im Genom ausgehenden Beitrag zur Lippen-Kiefer-Gaumenspalte gibt. Was der genetische Faktor selbst ist, das wissen wir nicht. Es könnte sich durchaus um ein regulatorisches Element im Erbgut handeln, also etwas, das in irgendeiner Form die Protein-Gene, wie wir sie heute nennen, beeinflusst. Das ist zwar noch nicht identifiziert, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir das wissen. Da arbeiten wir natürlich dran.

Es gab auch schon ähnliche Studien, die in anderen Ländern durchgeführt wurden. Unterscheiden sich Ihre vorläufigen Ergebnisse von denen der anderen Studien?
Eine genomweite Assoziationsstudie, wie wir sie jetzt durchgeführt haben, gab es für die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bisher noch nicht. Bislang wurden vor allem kleine interessante Teile des menschlichen Genoms, also einzelne Protein-Gene, auf einen Zusammenhang mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten untersucht. Und dann gab es so genannte Kopplungsstudien, die ganz grob das gesamte Genom versuchten zu untersuchen. Grob bedeutet mit wenigen genetischen Markern, das waren typischerweise
400 bis 500. Was wir in der genomweiten Assoziationsstudie gemacht haben, ist eine systematische  Suche im gesamten menschlichen Genom, die sehr viel detaillierter ist als alle bisherigen Studien. Über 500.000 werden hier verwendet. Die Region auf dem langen Arm von Chromosom 8, die wir identifiziert haben, wurde bislang in keiner Studie in Verbindung mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gebracht. Inwieweit diese Region auch in anderen Bevölkerungsgruppen eine Rolle spielt, werden Studien anderer Arbeitsgruppen, die Zugang zu Kollektiven anderer Ethnizitäten haben, zeigen.

Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die Praxis, etwa für Schwangere?
Für das praktische Vorgehen während einer Schwangerschaft haben unsere Ergebnisse vorläufig keine Konsequenzen. Es bleibt bei den üblichen Empfehlungen für Schwangere, also Einnahme von Folsäure, gesunde Ernährung, Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Ob ein werdendes Kind eine LKG-Spalte bekommt, kann man in der Ultraschalluntersuchung sehen. Erst wenn mehr über die genetischen Hintergründe bekannt ist, wird klar werden, in welche Richtung eventuell eine Prophylaxe in der Schwangerschaft gehen könnte. Ob man bestimmte Stoffe, die man heute noch gar nicht kennt, vermeiden muss, oder umgekehrt, einnehmen muss. So könnte man sich das langfristig vorstellen.
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass im Allgemeinen der Einfluss äußerer Faktoren gerne überbewertet wird. Einige Mütter von Betroffenen machen sich Vorwürfe, dass sie in der  Schwangerschaft etwas nicht richtig gemacht haben. Oder sie müssen sich, wenn sie sich die Vorwürfe nicht selbst gemacht haben, das oft von Außenstehenden gefallen lassen. Unser Ergebnis bestätigt letztlich die Annahmen, die aufgrund früherer epidemiologischer Arbeiten getroffen wurden. Dass nämlich genetische Faktoren eine ganz gewichtige Rolle bei der Entstehung der LKG-Spalten spielen. Und das dürfte für die eine oder andere Mutter eine Entlastung darstellen. Zumindest habe ich in diesem Sinne mehrere Rückmeldungen auf unsere Arbeit von Müttern Betroffener bekommen. Das Weitervererben ungünstiger genetischer Faktoren an ein Kind kann man ja wohl niemandem zum Vorwurf machen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Mangold.

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