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„Wir leben in aufregenden Zeiten.“

Prof. Dr. Thimios Mitsiadis
Jeannette Enders und Anja Worm, DTI

Jeannette Enders und Anja Worm, DTI

Di. 21 Juli 2009

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Ein Gespräch mit Prof. Dr. Thimios Mitsiadis, Leiter des Instituts für Orale Biologie an der Universität Zürich, über die Entdeckung des Gens für Zahnschmelzbildung.

Welche Prozesse bestimmen beim Menschen die Zahnschmelzbildung?
Die Zahnschmelzbildung ist ein sehr komplexer Prozess. Das Zahnepithel, welches den Zahnschmelz produziert, bestimmt dessen Bildung schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, also während der Embryonalentwicklung. Das Zahnepithel unterscheidet sich stark vom Hautepithel, das den Körper abdeckt. Entwicklungsbiologische Vorgänge wie zum Beispiel die Zahnschmelzbildung werden zu einem großen Teil von Transkriptionsfaktoren geregelt. Es gibt eine Vielzahl von Transkriptionsfaktoren, und wir kennen heute sicherlich noch nicht alle, und auch nur von wenigen deren exakte Rolle. Pitx2 zum Beispiel ist für die Determinierung des Mund- und Zahnepithels sehr wichtig, und wie wir jetzt entdeckt haben, Tbx1 ist kritisch für die zahnschmelzbildenden Ameloblasten. Verschiedene Transkriptionsfaktoren müssen also in einem sehr engen Zeitfenster geordnet zusammenwirken, damit Zahnschmelz gebildet werden kann. Diese Transkriptionsfaktoren werden wiederum von bestimmen Wachstumsfaktoren wie FGFs und BMPs reguliert und deren korrekte Expression setzt die richtige Interaktion von verschiedenen Zelltypen voraus. Wie Sie sehen, ist die Bildung des Zahnschmelzes von Beginn bis zum Ende ein sehr komplexer Prozess.

Welche Faktoren können die Entwicklung des Zahnschmelzes stören?
Der Zahnschmelz kann von Beginn an defekt sein, denn es gibt genetische Faktoren, die eine korrekte Entwicklung des Schmelzes verhindern, wie beispielsweise Mutationen in Tbx1. Des Weiteren gibt es epigenetische Einflüsse und Umwelteinflüsse, die während der Schwangerschaft zur Verschlechterung oder zur Verfärbung des Zahnschmelzes führen können. Als Beispiele führe ich hier den Alkohol an, der beträchtliche Schäden der Gesichtsentwicklung verursachen kann, oder das Antibiotikum Tetrazyklin, das zur Verfärbung des Enamels führt. Wir untersuchen derzeit die Wirkung von Fluorid. Obwohl Fluorid an sich ein Zahnschutz ist, möchten wir wissen, ob es während der Schwangerschaft die Zahnschmelzbildung beeinträchtigt.

Zahnschmelzabbau ist derzeit in gegenwärtig wachsendes Problem. Sicher spielt die höhere Lebenserwartung eine große Rolle. Jedoch zeigen die Statistiken, dass auch jüngere Menschen mehr und mehr betroffen sind. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Ja, tatsächlich wird bei älteren Menschen mehr Zahnschmelzabbau festgestellt. Ich denke, zwei Faktoren müssen dabei beachtet werden. Obwohl wir heutzutage viel über Prävention gelernt haben, haben in der Vergangenheit nicht viele Menschen die Zähne beachtet. Die Allgemeingesundheit und andere Krankheiten waren weitaus wichtiger. In diesen Bereichen hat sich durch die Forschung und Medikamente vieles verbessert, und wir realisieren heute, dass wir eigentlich eine Menge Probleme mit Zähnen haben, welche wir vorher einfach nicht beachtet haben.
Dass vermehrt jüngere Menschen Zahnschmelzprobleme haben, könnte mit unseren  Lebensgewohnheiten zu tun haben, und deswegen untersuchen wir das Fluorid. Es könnte aber auch an der Durchmischung der Bevölkerung liegen. Wir reisen mehr, leben in anderen Ländern. Nehmen Sie zum Beispiel mich. Ich bin Grieche und meine Frau ist aus Spanien. Meine Kinder bilden eine Melange aus griechischen und spanischen Einflüssen. Obwohl eine genetische Durchmischung der Bevölkerung vom Standpunkt der Evolution positive Aspekte hat, kann das natürlich auch zur Verbreitung
von schwächeren genetischen Eigenschaften führen. Und obwohl keine konkreten Daten vorliegen, könnte ein solcher Mix vielleicht zu vermehrten Abnormalitäten beim Zahnschmelz führen.

Welche neuen Perspektiven eröffnen die nunmehr gewonnenen Erkenntnisse?
Wir leben in aufregenden Zeiten. Ich glaube, dass unsere heutigen Entdeckungen es uns in Zukunft erlauben werden, vielleicht in 20 oder 30 Jahren, neue Gewebe mithilfe der Stammzellbiologie und  Genetik zu kreieren. Es gibt heute schon Versuche, dentale Stammzellen zur Wiederherstellung von  Kieferknochen zu nutzen. Das passiert also schon und es ist ein Beispiel dafür, dass der Fortschritt schnell voranschreitet. Bezüglich des Zahnschmelzes brauchen wir aber noch mehr Informationen, um einen solch guten natürlichen Schutz nachbauen zu können.

Wie weit sind die Forschungen zum Einsatz von Stammzellen zur Bildung von neuem Zahnschmelz fortgeschritten?
Wir haben ein europäisches Konsortium gebildet, bestehend aus Forschern in Deutschland, Finnland, Schweiz, Italien und Frankreich, das mit Stammzellen arbeitet. Die Idee hinter dem Konsortium ist,  Stammzellen von Zähnen, vom Gesicht und vom Kopf zu nehmen und sie zu  nutzen, um Produkte anzufertigen. Mit den Stammzellen sollen natürliche, also auf diesen  basierende Implantate angefertigt werden. Es gibt gegenwärtig Versuche in Italien, einen ganzen Zahn nachzubauen. Aber ich denke, das ist momentan noch zu komplex. Wir sollten uns eher darauf konzentrieren,  erstmals kleine Gewebsteile anzufertigen, die zur Reparatur von zerstörtem Dentin oder Zahngewebe eingesetzt werden können.

Erschienen in der Dental Tribune German Edition 4/2009

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