Amann Girrbach und die digitale Transformation

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Dr Wolfgang Reim, CEO von Amann Girrbach, im Gespräch mit Dental Tribune International. © Amann Girrbach
Claudia Duschek & Jeremy Booth, DTI

Claudia Duschek & Jeremy Booth, DTI

Di. 10 November 2020

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Als einer der Pioniere in der dentalen CAD/CAM-Technologie zählt die Firma Amann Girrbach zu den führenden Innovatoren in der digitalen Zahnprothetik weltweit. Schon weit vor der Corona-Krise wurde bei dem österreichischen Full-Service-Anbieter ein strategischer Paradigmenwechsel eingeläutet, der dazu führte, dass sich das Unternehmen aktuell mitten im digitalen Umbruch befindet. Dental Tribune International sprach mit CEO Dr. Wolfgang Reim und Patrick Amann, Head of Marketing bei Amann Girrbach, über die Auswirkungen der Pandemie, die digitale Transformation und die Internationale Dental-Schau (IDS) 2021.

Die Corona-Pandemie hat nahezu alle Wirtschaftsbereiche in eine Krise gestürzt. Dies ist auch eine herausfordernde Zeit für die Dentalbranche. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt?
Reim: Die Krise ist auch an Amann Girrbach nicht spurlos vorübergegangen. Interessanterweise war der März dieses Jahres der umsatzstärkste Monat in unserer bisherigen Unternehmensgeschichte. Jedoch hatten wir in der letzten Märzwoche mit einem Rückgang von 70 bis 75 Prozent den größten Einbruch im Auftragseingang, den wir je erlebt haben, zu verzeichnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde klar, welche Dimension das Virus haben wird mit Auswirkungen für unsere gesamte Branche. Darauf mussten wir reagieren. So haben wir bereits zu Beginn der Krise diverse Aktivitäten eingeleitet. Neben internen Maßnahmen für unsere Mitarbeiter wie Homeoffice und digitale Zusammenarbeit haben wir den strategischen Fokus verstärkt auf die digitale Transformation in allen Bereichen unseres Geschäfts gesetzt und zum Beispiel den ersten virtuellen Messestand unserer Branche mit großem Erfolg eingeführt.

Da die Auswirkungen der Corona-Krise alle Messen und Kongresse weltweit zum Erliegen gebracht haben, hat Amann Girrbach mit der Digital Dental Show einen virtuellen Messestand ins Leben gerufen. © Amann Girrbach

Wie wird sich die gegenwärtige Krise Ihrer Meinung nach mittel- und langfristig auswirken?
Reim: Das Materialgeschäft hat sich als relativ stabil in dieser Krise erwiesen. Bei uns sind speziell die Investitionsgüter betroffen, da Labore in diesen Zeiten keine großen Investitionen machen. Wir spüren nun eine langsame Erholung, besonders im deutschen Markt, und beobachten die Entwicklung weltweit intensiv.

Ein großes Risiko für die Zukunft sehen wir in Ländern wie beispielsweise den Vereinigten Staaten, wo Patienten hohe Zuzahlungen zu Restaurationen leisten müssen. Hier muss man die Frage stellen, wie viel Geld Patienten zukünftig zum Beispiel für optionale Restaurationen haben werden – dies wird uns noch zwei bis drei Jahre im negativen Sinne beschäftigen.

Es gibt aber auch durchaus positive Auswirkungen. Wir glauben, dass die Durchdringung der digitalen Prozesse nun schneller vorangetrieben wird. Das wird eine Firma wie Amann Girrbach eher stützen und unser Wachstum beschleunigen. Darauf setzen wir mit Innovationen und haben während der Krise stark in zwei Bereiche investiert – R&D und die digitale Transformation.

„Der strukturelle Wandel war bereits vor der Krise im Gange – Corona hat die Entwicklung noch beschleunigt und ebnet der digitalen Transformation den Weg“
–Dr. Wolfgang Reim, CEO von Amann Girrbach

Amann Girrbach hatte sich bereits vor Corona die digitale Transformation auf die Fahne geschrieben. Welche Veränderungen hat es und wird es für Ihr Unternehmen geben und welches Ziel verfolgen Sie mit dieser Strategie?
Reim: Wir haben in den letzten sechs Monaten eine starke Transformation begonnen. Unserer Meinung nach war der strukturelle Wandel bereits vor der Krise im Gange – Corona hat die Entwicklung noch beschleunigt und ebnet der digitalen Transformation den Weg.

Um der wachsenden Nachfrage an Geräten und Materialien schneller und flexibler nachkommen zu können, hat Amann Girrbach im Jahr 2017 eine weitere Produktionsstätte am Standort in Österreich errichtet. © Amann Girrbach

Frühzeitig haben wir begonnen, uns mit den Inhalten und Anforderungen für den digitalen Wandel zu beschäftigen. In den letzten Monaten haben wir dann unsere Strategie geschärft und damit interne Strukturen und Prozess- und Produktentwicklungen voll auf die digitale Transformation ausgerichtet. So haben wir auch während der Krise Software-Fachleute eingestellt und Kollaborationen gestartet, die die inhaltliche Transformation maßgeblich mittragen werden. Beispiele sind die Beteiligung des Berliner Investors Project A oder die Partnerschaft mit dem E-Commerce-Spezialist Spryker. Damit haben wir hochprofessionelle Partner an unserer Seite, die uns durch ihr Know-how und ein entsprechendes Netzwerk von Software-Experten den Weg für ein digitales Ökosystem – AG.Live – ebnen, mit dem Ziel, unsere Interaktion mit Laboren und Praxen effizienter zu machen und eine hohe Customer Experience zu gewährleisten.

Dentaltechnologien werden ständig weiterentwickelt, um Arbeitsabläufe zu vereinfachen und eine Branche zu digitalisieren, die früher auf rein analoger Ebene existierte. Wie trägt Amann Girrbach dieser Entwicklung Rechnung?
Reim: Die Digitalisierung der Zahntechnik ist eine unaufhaltsame Entwicklung, die nicht rein branchengetrieben ist, sondern dem technologischen Fortschritt an sich geschuldet ist. Alle Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Zukunft immer weniger haptische Abläufe bringt. Wir richten unsere Produktentwicklung und interne Prozesse deshalb weitestgehend digital aus.

Auf unser Kerngeschäft bezogen bedeutet dies, dass wir ein Hardware-Entwickler und -Hersteller bleiben. Wie sind aber der Meinung, dass dies allein nicht mehr reicht für die Zukunft. Man muss auch den Zugang zu Kunden digitalisieren und den Kunden helfen, in ihrem Prozessumfeld über digitale Abläufe effizienter zu arbeiten. Wir haben mit AG.Live eine virtuelle Plattform entwickelt, die es unseren Kunden ganz einfach macht, in der digitalen Transformation weiterzukommen durch maximalen Überblick, effizientere Prozesse und mehr Transparenz.

Der digitale Wandel in der Dentalbranche wird sich beschleunigen und wir wollen Frontrunner sein.

Amann: Die Transformation von Amann Girrbach ist ein großes Commitment. Wir nehmen die Philosophie des digitalen Wandels sehr ernst und reden hier wirklich von einem essenziellen Wandel im Unternehmen. Wir gehen vor allem jetzt diesen Schritt sehr konsequent und nehmen Veränderungen nicht nur in Teilbereichen, sondern ganzheitlich vor.

Ergänzend ist zu sagen, dass der reine Produktionsprozess im Labor heute bereits digital ist – jedoch nur dieser. Hingegen werden das Patientenmanagement sowie alle kommunikativen und interdisziplinären Schritte zum größten Teil immer noch wie in den Sechzigerjahren gehandhabt. Die entscheidende zweite Hälfte der Digitalisierung fehlt sozusagen noch. Der Wandel wird noch mehrere Jahre dauern, aber wir wollen an der Spitze mitspielen, indem wir unsere Kunden auf dem Weg hin zu voll digitalen Abläufen mit konkreten Angeboten unterstützen.

Welche Vorteile bietet AG.Live für Ihre Kunden konkret?
Amann: Strategisch ist AG.Live eines der größten Projekte, das wir je angegangen sind. Wir streben an, das Spannungsfeld der interdisziplinären End-to-end-Kommunikation zu lösen und stoßen gleichzeitig in die Bereiche E-Commerce, CRM, remote Support und digitale Fortbildung vor. Wir wollen dabei keine Insellösungen schaffen, die dann mühsam verknüpft werden, sondern ein integriertes System, das für den Kunden überschaubar und leicht handhabbar bleibt und einen echten Mehrwert bringt.

Reim: Schlussendlich steht die Verbesserung der Restauration beim Patienten sowie die Effizienz des Labors im Fokus der gesamten Entwicklung. AG.Live wird uns ermöglichen, hier Consulting-Services für Materialien und Vorgehensweisen sowie gezielte Angebote aufgrund der Nutzerprofile zu machen. Vielleicht werden wir übernächstes Jahr bereits diese Themen angehen können.

„Aus unserer Sicht ist unter den aktuellen Umständen keine sichere und für den Aussteller sinnvolle Beteiligung an der IDS möglich“ –
Patrick Amann, Head of Marketing bei Amann Girrbach

Wie sehen Ihre Pläne für die kommende IDS in Köln aus, die im März 2021 stattfinden soll?
Reim: Wir haben die Entwicklung der Pandemie und der IDS genau beobachtet und glauben nicht, dass in naher Zukunft große Meetings realistisch sind. Die IDS lebt von vollen Ständen und den Interaktionen mit Kunden um die Geräte herum – das ist unter den aktuellen Umständen nicht vorstellbar. Hinzu kommt, dass das internationale Reisen weiterhin stark beschränkt sein wird.

Auf der kommenden IDS wird es keinen Stand von Amann Girrbach geben. © Koelnmesse/IDS Cologne

Deshalb sind wir zu dem Schluss gekommen, die IDS-Teilnahme abzusagen. Wir sind dennoch offen für die digitalen Angebote der IDS, denn unsere Entwicklungs-Pipeline auf der Hardware- und Material-Seite ist voll und soll im Frühjahr präsentiert werden. Entweder wird es dafür eine digitale Plattform mit der IDS geben oder wir werden eine eigene Plattform nutzen. Wir können uns gut vorstellen, die Produkte wieder im Kontext eines virtuellen Messestandes wie zu Beginn der Pandemie zu präsentieren, um zu versuchen, das Gefühl der Messe so gut wie möglich zu simulieren.

Amann: Aus unserer Sicht ist unter den aktuellen Umständen keine sichere und für den Aussteller sinnvolle Beteiligung an der IDS möglich. Auch wäre eine Beteiligung nicht verantwortbar gegenüber Kunden und Mitarbeitern, da das Risiko sich mit dem Coronavirus zu infizieren einfach zu groß ist.

Zusätzlich zu neuen Produkten betreten wir im kommenden Jahr auch Neuland mit nicht-haptischen Produkten sowie digitale Themen, um neue Zielgruppen zu erschließen. Die IDS ist daher nach wie vor ein wichtiger Termin. Ich glaube aber nicht, dass der VDDI ein technisch einwandfreies Angebot auf breiter Basis für die gesamte Industrie ausrollen kann. Auch finanziell gesehen muss sich eine Teilnahme an der IDS lohnen. Das beträchtliche Investment, das wir jedes zweite Jahr in die Messe tätigen, sehen wir für 2021 nicht gerechtfertigt.

Auch wenn es die IDS nicht ersetzen kann, avisieren wir als Alternative, kleine lokale Events mit unseren Partnern zu veranstalten, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, die Neuheiten vor Ort zu betrachten, und nicht nur auf virtueller Basis.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview erchien in ernglischer Sprache in digital—international magazine of digital denistry Vol. 1, Issue 3/20.

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