DT News - Austria - „Reform ist auf halbem Weg stecken geblieben“

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„Reform ist auf halbem Weg stecken geblieben“

Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ) am Rednerpult im Nationalrat. (Foto: Parlamentsdirektion/Mike Ranz)
Jürgen Pischel, Herausgeber der Dental Tribune Austria

Jürgen Pischel, Herausgeber der Dental Tribune Austria

Di. 9 November 2010

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WIEN – Der Zahnarzt Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ) ist seit zwei Jahren Nationalrat und Mitglied des Wissenschafts- und Gesundheitsausschusses. Ein Gespräch über die aktuelle Gesundheitspolitik und notwendige Reformen.

Herr Dr. Karlsböck, Sie sind im österreichischen Nationalrat der einzige Zahnarzt. Welche Chancen sehen Sie darin für den Berufsstand?
Dr. Andreas Karlsböck
: Im Parlament werden die Gesetze gemacht, die uns Ärzte im täglichen Leben betreffen. Ich habe daher, durch meine Mitgliedschaften im parlamentarischen Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss, die Möglichkeit, meine Sicht der Dinge einzubringen. Als Arzt, der sowohl den
niedergelassenen als auch den Spitalsbereich aus eigener Erfahrung kennt, habe ich natürlich einen anderen Zugang als „Nur-Politiker“. Selbstverständlich bringe ich die Anliegen unseres Berufsstandes in die Verhandlungen ein und setze durch Anträge selbst Initiativen. 

Welche Themen stehen aktuell in der Gesundheitspolitik an, bei denen die Zahnärzteschaft politische Initiativen setzen könnte?
Ein wesentlicher Punkt, der besonders unsere Berufsgruppe betrifft, ist das Selbstbehaltsunwesen, das auch die Abwanderung zahlreicher Patienten in das benachbarte Ausland mitverursacht hat. Hier habe ich bereits einige Initiativen gesetzt, um diesen Zustand, der direkt in die Zweiklassenmedizin führt, zu beenden. Selbstbehalte sind unsozial und müssen daher abgeschafft werden. Mit einer Befreiung der Krankenkassen von den sogenannten versicherungsfremden Leistungen ist das auch finanzierbar. 

Wie man hört, kommen von der Zahnärztekammer (ZÄK) auf Bundesebene kaum Stellungnahmen zu aktuellen politischen Themen.
Die Zahnärztekammer verhält sich sehr unauffällig und dürfte eher im Hintergrund agieren und überlässt die grundsätzlichen standespolitischen Agenden eher der österreichischen Ärztekammer, wobei zu sagen ist, dass das ganz vernünftig ist, da der Großteil der Gesetzesmaterie sowieso äquivalent ist. Das eröffnet meiner parlamentarischen Arbeit dankenswerterweise ein breiteres Spektrum, das ich natürlich gerne im Interesse unserer Berufsgruppe nütze. 

In der Berufsausübung als Zahnarzt, einem freien Beruf, gibt es in kaum einem Land Europas solche Beschränkungen wie in Österreich. Etwa in der Frage der Kooperation von fachlich spezialisierten Zahnärzten, in der Partnerschaft oder Anstellung von Kolleginnen und Kollegen oder eben in der Spezialisierung, die auch in der Zahnmedizin nicht aufzuhalten ist. Wo sehen Sie vorrangig
einen Handlungsbedarf?

Hier ist es mir erst unlängst gelungen, einen Super-Gau für die gesamte Ärzteschaft zu verhindern. Mit der vor der Sommerpause beschlossenen Ärztegesetzesnovelle ist die Haftpflichtversicherung für Ärzte geändert worden. Von den Regierungsparteien wurde allerdings übersehen, dass mit einer  unbegrenzten Fallzahl die Versicherungssummen vervielfacht worden wären. Zur Erinnerung: Der  Gesetzesentwurf hat vorgesehen, dass in der für alle niedergelassenen Ärzte verpflichtenden  Berufshaftungsversicherung die Mindestversicherungssumme für jeden Versicherungsfall drei Millionen Euro betragen soll. Bislang galt die Regelung für drei Fälle pro Jahr. Das hätte für Versicherungen ein unkalkulierbares, weil unendliches, Risiko bedeutet, was aufgrund der dramatischen Risikoerhöhung für Versicherungsunternehmen mit einer massiven Prämienerhöhung einher gegangen wäre. Nach  massiven Protesten und zahlreichen Gesprächen mit SPÖ- und ÖVPPolitikern ist es mir gelungen, die Versicherungssumme bei der Ärztehaftpflicht auf zwei Millionen Euro für maximal drei Fälle pro Jahr  auszuverhandeln. Damit habe ich den Ärzten rund 50 Millionen Euro Versicherungsprämien pro Jahr erspart.  

Weiters wurde mit dieser Novelle die Möglichkeit von Gruppenordinationen beschlossen, die jedoch eher als Potemkinsches Dorf bezeichnet werden kann. Zu viele bürokratische Hürden, die fehlende Möglichkeit Ärzte bei Ärzten anzustellen und die rigide „Bedarfsprüfung“ machen es schwer, Vorteile für Österreichs Patienten und Ärzte zu nutzen. Die ursprünglichen Ziele von längeren Öffnungszeiten, besserer Erreichbarkeit und billigerer Versorgung sind so nicht machbar. Diese Reform ist auf halbem Weg stecken geblieben.

Sie haben mit den Themen in Ihrer Fragestellung gleichsam alle Tabuzonen standespolitischer Diskussionen in Österreich durchbrochen. Richtig ist, dass wir, soll in unserem Land der hohe Standard zahnmedizinischer Versorgung gesichert werden, uns auch neuen Entwicklungen, wie sie sich etwa in Deutschland, USA, der Schweiz und anderen Ländern zeigen, stellen müssen. Das gilt vor allem für die Spezialisierung, aber eine wirklich fachlich fundierte und nicht eine durch Industrie- oder Verbandspropagierte Selbsternennung initiierte. Daraus leiten sich für eine bessere Zahnmedizin, aber  vor allem auch für höhere Effizienz der Ordinationen natürlich auch neue Formen und Wege der  Zahnarzt-Kooperation ab, beispielsweise in Mehrbehandler-Partnerschaften oder in Ordinationsverbünden. Richtig ist auch, je mehr Frauen in unseren Beruf drängen, umso mehr partnerschaftliche Formen der Ordinationsführung werden notwendig, denn in diesen lassen sich Beruf  und Kindererziehung einfacher in zeitliche Übereinstimmung bringen.

Wie sieht der Handlungsbedarf in der Ausbildung der Helferin aus?
Bei den Gesundheitsberufen fordern wir bereits seit Jahren einen Lehrberuf für zahnärztliche Assistentinnen. Je größer die Anforderungen an die Assistenz unserer Mitarbeiter werden, umso wichtiger wird auch deren fundierte Grundausbildung. Vieles spricht für einen Ausbildungs-Gesundheitsberuf. An dieses Thema muss endlich ohne Scheuklappen aus den Kammern herangegangen werden, weil qualifizierte Mitarbeiterinnen die beste Grundlage für unseren Ordinationserfolg bilden. Die meisten der Kollegen haben das längst erkannt.

Sollten die Zahnärzte nicht eine Gesetzesinitiative für eine Gesundheitsreform, zum Beispiel hin zu Kostenerstattungsformen für einen Basiskatalog, in der Zahnmedizin anstoßen?
Hier stelle ich voran: Sie wissen, meine Partei tritt für eine solidarisch gesicherte medizinisch notwendige Gesundheitsversorgung aller Bürger ein. Vor allem wollen wir auch keine  Zweiklassenmedizin. Aber gerade in der Zahnmedizin sehe ich hervorragende Ansätze, das  Sachleistungsprinzip im schon heute sehr begrenzten Leistungskatalog durch das Kostenerstattungsprinzip zu ersetzen. Der Wert der Kostenerstattung in der Zahnmedizin liegt darin, dass sie dem Versicherten die Tür zum medizinischen Fortschritt öffnet, er für eine definierte  Grundleistung den Basiszuschuss der Kasse erhält und der Zahnarzt eine bessere Versorgung leisten und privat mit dem Patienten vereinbaren kann. Der Patient soll für die Grundleistung der Kasse nicht in Vorkasse treten, der Zuschuss geht in der Höhe der Kassenversorgung an den Zahnarzt, kann aber die moderne, bessere Therapie in Anspruch nehmen. Viele andere europäische Länder gehen bereits diesen Weg und hier sollten wir gemeinsam mit den Standesvertretungen Initiativen entwickeln.

In den letzten Monaten hat sich die ZÄK vor allem durch einen Kampf gegen die Danube Private University (DPU) zu profilieren gesucht. Stehen Gesundheits- und Wissenschaftsministerien hinter den ZÄK-Vorwürfen gegen die DPU?
Ich hoffe sehr, dass es nach den harten und vielfach unzulässigen Angriffen von einigen wenigen Funktionären gegen die Privatuniversität der Zahnmedizin, für die sicher die allermeisten Zahnärzte keinerlei Verständnis gezeigt haben – studieren doch viele Kinder österreichischer Kollegen in Krems – nun eine Phase zur Suche nach einem gemeinsamen Weg eingeleitet wird. Der dümmste Vorwurf war, dass an der DPU „nur Kinder reicher Eltern studieren können“, weiß man doch, dass alle Studierenden Kinder von Zahnarzt-Eltern sind. Schnell können solche Vorhaltungen die Politik angesichts der dramatischen Finanzprobleme an unseren Universitäten dazu verleiten, nach Einkommen gestaffelte Studiengebühren zu fördern, was dann all unsere Kollegen mit studierenden Kindern treffen würde.

Mit den parlamentarischen Anfragen an die Wissenschaftsministerin  und den  Gesundheitsminister  wollte ich dafür sorgen, dass Klarheit über Status und Anerkennung der Zahnmedizinstudien an der DPU geschaffen wird. Das ist gelungen, wie sie ja bereits in der letzten Dental Tribune berichtet haben. Peinlich für die Zahnärztekammer ist darin die Aufforderung des Bundesgesundheitsministers im Rahmen einer Aufsichtsanordnung „zur Vermeidung von Fehlinformationen und Verunsicherungen“ sich an die Rechtslage zu halten. Vor allem verweist der Minister die ZÄK darauf, dass nach dem Universitätsakkreditierungsgesetz es für die Kammer „keinerlei Kompetenzen oder  Begutachtungsrechte für Medizin- oder Zahnmedizin-Studien“ gibt. Beide Ministerien bestätigen, dass die DPU-Studien voll die Anforderungen sowohl aus dem EU-Recht wie aus dem Österreichischen Universitätsgesetz erfüllen, dass die Berufsqualifikation für DPU-Absolventen als Zahnärzte gesichert ist und diese nicht nur in Deutschland direkt eine Ordination eröffnen können, sondern auch in Österreich in die ZÄK-Zahnärzteliste eingetragen werden können.

Immer wieder gibt es Anfragen von Zahnärzten, was die ZÄK mit den Zinserträgen aus den Kassenüberweisungen an die Zahnärzte macht. Wissen Sie da mehr als Abgeordneter?
Ich höre das jetzt zum ersten Mal. In diese Dinge bin ich natürlich nicht involviert. Falls es aber in diese Richtung auch nur Verdachtsmomente geben sollte, das da irgendwelche nicht öffentliche Konten  existieren, müsste das umgehend aufgeklärt werden. Ich kann mir das nicht vorstellen. Außerdem, die Selbstreinigungskraft der Kollegenschaft ist eine funktionierende.

Man hört ja bereits die Hufe scharren von einzelnen Kandidaten für die Nachfolge von DDr. Hannes Westermayer als ZÄK-Präsident. Haben Sie eine Präferenz? Wie müsste ein idealer ZÄK-Präsident aussehen?
Nein, eine Präferenz habe ich keine. Er oder sie sollten integrativ nach innen, vernetzend und akzeptiert nach außen und analytisch vorausschauend agieren, um so die Zahnärzteschaft, die heute durch ihre Loslösung von der Ärzteschaft viel weniger wahrgenommen wird als früher, einer prosperierenden Zukunft entgegenzuführen. 

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