WIEN - Wenn es um Reformen für das Gesundheitssystem geht, ist schnell die Rede von Zweiklassenmedizin. Den Zahnärzten in Österreich geht es um veraltete Honorarrichtlinien und ungerechte Leistungsbewertungen. Jürgen Pischel spricht Klartext.
Klagen über die Zustände im Gesundheitssystem gehört zum Credo der Berufsfunktionäre, jegliche politische Initiative hin zu einer Reform wird als Schritt in die Zweiklassenmedizin angeprangert. Gegen die neuesten Pläne von Rot/Schwarz gemeinsam mit den Sozialversicherungen machen gerade die Ärzte mobil, bis hin zu Streikdrohungen. Durchsetzen möchten die Ärzte damit, dass mindestens weitere 2.000 Kassenarztsitze in Österreich geöffnet werden, damit die Patienten verstärkt vom stationären in den niedergelassenen Bereich umgeleitet werden. Die Zahnärzte halten sich raus aus der Diskussion zwischen Ärzten, Politik und Kostenträgern, stöhnen allemal über die den modernen Stand der Zahnmedizin längst nicht mehr widerspiegelnden Honorarrichtlinien und die geradezu lächerlichen Leistungsbewertungen. Revolten werden allemal angekündigt, wenn Kassenambulatorien neue Leistungsbereiche bis hin zu von den Kassen sonst als „Luxusversorgungen“ diffamierte Leistungen zur Defizitabwendung zugeordnet bekommen. Mit Statistiken ist es so eine Sache, aber internationale Vergleiche offenbaren doch einiges, was zum Nachdenken hin zu einem Wandel der Positionen anstößt. Die Schweiz, sicher ein reiches Land – hat mit 55 Zahnärzten pro 100.000 Einwohner (Zahlen aus den OECD-Statistiken) ebenso viele wie Österreich – ebenfalls 55 –, es werden aber für die Zahnversorgung 320 Euro pro Kopf und Jahr ausgegeben, in Österreich nur 175 Euro. Das heißt, jeder Schweizer bringt 45 Prozent mehr an Geld zu seinem Zahnarzt – rein statistisch. In der Schweiz bringen die öffentlichen Kassen nur knapp 5% der Ausgaben für Zahnarztpraxen auf, 95% werden privat geleistet. In Deutschland sind es übrigens 270 Euro an Pro-Kopf-Ausgaben für die Zahngesundheit, es kommen jedoch 85 Zahnärzte auf 100.000 Einwohner. Das heißt, pro Zahnarzt steht sich der Deutsche nicht besser als der in Österreich. Den Nachholbedarf an zu tätigenden Zahngesundheitsausgaben in Österreich zeigen zwei andere Vergleiche. Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz liegt der Anteil für Leistungen in Zahnarztpraxen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 0,7 Prozent, in Österreich nur bei 0,5 Prozent, das heißt 25 Prozent weniger. Die Anteile an den Kassenaufwendungen, die von deren Gesamtausgaben in Zahnarztpraxen fließen, liegen in Deutschland bei 7%, in Österreich hingegen bei nur 4,7%. Das sind also 30 Prozent weniger, was von den Sozialkassen für die Zahnmedizin zur Verfügung gestellt wird. Was könnte man daraus ableiten? Nun einmal, die Zahnärzte müssen schauen, ein größeres Kuchenstück von den Sozialkassenausgaben für die Zahnheilkunde gegenüber Ärzten, Krankenkassen, Heil- und Hilfsmitteln etc. zu sichern. Vielleicht könnte man über ein neues Honorierungssystem nachdenken, das auf der Basis von Festzuschüssen für einen zahnmedizinischen Gesundheitskatalog Erstattungen vorsieht. Der Versicherte bekommt also die Grundversorgung „erstattet“, oder der Zahnarzt bekommt es direkt von der Kasse, „obendrauf“ ist er nach einem Heil- und Kostenplan frei, höherwertige, z.B. ästhetisch besonders herausfordernde Leistungen oder Implantat- und Teleskopversorgungen statt Modellguss zu vereinbaren. Also Öffnung des Kassensystems hin zu mehr Therapiefreiheit. Im zweiten Teil, der höheren Ausgabenbereitschaft pro Kopf der Bevölkerung – siehe Schweiz und Deutschland –, kann nur eines helfen: eine breite Kommunikation über die Bedeutung von gesunden und schönen Zähnen – medizinisch und psychologisch – für jeden Einzelnen. Da ist jeder Zahnarzt gefordert,
toi, toi, toi, Ihr J. Pischel
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