LEIPZIG/HEIDELBERG – Unter dem Forschungsthema „PIA – Prophylaxe-Intervention in Altenheimen“ untersuchten Wissenschaftler aus Heidelberg, welches Konzept die Mundgesundheit von Bewohnern mit der Pflegestufe I verbessern kann – und gelangten zu überraschenden Ergebnissen.
Die Studie der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Universitätsklinikum Heidelberg gewann zugleich den „Wrigley Prophylaxe Preis“. An der Studie waren neben dem Priv.-Doz. Dr. Alexander Hassel und Prof. Dr. Peter Rammelsberg Dres. Anke und Reinhard Dieke mit viel Engagement beteiligt. Die beiden praktizierenden Zahnärzte führten die Instruktionen und Behandlungen durch. Anja Worm, DTI, sprach mit Dr. Hassel über die Studien, ihre Ergebnisse und die Umsetzung in der Praxis.
Anja Worm: Herr Dr. Hassel, Ziel der Interventionsstudie war die Erarbeitung eines Konzeptes zur Verbesserung der Mundgesundheit von älteren Menschen in Seniorenheimen. Wie war die Studie aufgebaut?
OA Priv.-Doz. Dr. Alexander Hassel:Wir haben die Studie als mehrarmige Untersuchung aufgebaut, uns verschiedene Konzepte überlegt und die wollten wir gegeneinander testen. Wir haben die Probanden, die sich bereit erklärt haben an der Studie teilzunehmen, zu diesen Gruppen zufällig zugelost. Bei
einer Gruppe machten wir nur eine einmalige Zahnreinigung und Instruktion und schauten uns dann den Verlauf der Mundhygiene im Verlauf über drei Monate an. In der zweiten Gruppe war es nach der Zahnreinigung und der Mundhygieneinstruktionen so, dass ein Zahnarzt nach Studienbeginn sich regelmäßig noch einmal alles angeschaut hat. Nach vier und acht Wochen hat der Zahnarzt reinstruiert und
remotiviert. Und bei der dritten Gruppe nahmen wir das Personal zusätzlich mit ins Boot, es sollte die Bewohner mit unterstützen und instruieren. Das sollten die Altenpfleger zweimal pro Woche machen und schriftlich bestätigen. Die drei Gruppen haben wir über drei Monate hinweg begleitet bis zur Abschlussuntersuchung.
Welches Konzept hat sich am besten bewährt?
Bewährt haben sich alle drei Konzepte. Alle drei waren in der Lage, die Mundhygiene signifikant, also überzufällig, zu verbessern. Wir konnten das testen, weil wir noch eine vierte Gruppe hatten, die als Kontrollgruppe fungierte. Weil es ja auch so sein könnte, dass andere Effekte eine Rolle spielen. Aber es war so, dass die Kontrollgruppe auf gleich schlechtem Niveau geblieben ist und alle Therapiegruppen besser geworden sind. Was wir auch festgestellt haben ist, dass die zusätzliche Motivation durch das Personal oder durch den nochmaligen zahnärztlichen Besuch gegenüber
der Gruppe, die nur einmal einen Zahnarzt gesehen hat, keinen zusätzlichen Nutzen brachte.
Das Ergebnis verwundert.
Uns eigentlich auch. Damit hatten wir nicht gerechnet, aber so waren die Ergebnisse.
Inwieweit war das Wissen über die richtige Prophylaxe bei den Studienteilnehmern vor der Untersuchung vorhanden?
Vor der Untersuchung haben wir das nicht erfragt. Wir haben die Probanden individuell geschult und den gleichen Wissensstand hergestellt. Jeder Patient wurde auf seine spezielle Mundsituation hin instruiert.
Wir haben nach der Studie bei den Probanden gefragt, ob es ihnen etwas gebracht hat oder nicht. Die meisten Teilnehmer haben dies bejaht, aber bei Weitem nicht alle.
Durch Ihre Arbeit kennen Sie die Situation in Seniorenheimen. Ist das Konzept, realistisch gesehen, auch umsetzbar, etwa, dass alle drei Monate eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt wird?
Das ist sicherlich der schwierige Punkt, der sich nun anschließt. Ich glaube, man muss auf mehreren Ebenen einwirken. Das eine ist, bei den Zahnärzten das Bewusstsein zu schaffen, auch bei dieser Patientengruppe an Prophylaxe zu denken und beispielsweise professionelle Zahn- und Prothesenreinigungen anzubieten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt von unserer Seite aus, da viele ältere Patienten ja gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Wir konnten in anderen Studien nachweisen,
dass ein hoher Prozentsatz nicht wusste, was eine professionelle Zahnreinigung überhaupt ist. Sicherlich müssen wir auch ein Bewusstsein bei den älteren Patienten schaffen, dass die Mundhygiene
wichtig und auch ein Spiegel aller anderen Erkrankungen ist. Wichtig als Wert an sich, aber auch wichtig für die Allgemeingesundheit. Ich glaube, wenn man es schaffen würde, einen Bedarf bei den Patienten tatsächlich zu wecken, wäre die Nachfrage nach solchen Leistungen auch höher.
Welche Rolle spielt das Personal eines Seniorenheims bei der Umsetzung des Prophylaxekonzeptes?
Eine ganz entscheidende Rolle kommt dem Personal im Erkennen der Missstände zu. In den meisten Pflegeheimen ist es ja so, dass der Zahnarzt erst angerufen wird, wenn etwas Akutes passiert ist. Wenn die Prothese herausgefallen ist oder ein Zahn plötzlich einen Abszess hat. Vielleicht würde es sehr viel
helfen, es als Service anzusehen, die Bewohner daran zu erinnern, dass ein halbes Jahr verstrichen
ist und dass es nicht schlecht wäre, mal wieder einen Zahnarzt zu besuchen. Im Bereich der Früherkennung und der Vermittlung zum Zahnarzt kann das Personal eine Rolle spielen. Das gilt
speziell für die Altenheimbewohner, die noch fit sind und die Pflegestufe I haben. Bei der Pflegestufe
II und III ist das Personal dann natürlich auch stärker in der aktiven Unterstützung bei der Durchführung von Mundhygiene gefordert.
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