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Schau über Alltag der Zahnärzte von anno dazumal

Wachsmoulagen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten vom Karl Sudhoff Institut für Geschichte der Medizin. © Zahnmuseum Linz
Linzer Museum für Geschichte der Zahnheilkunde und Zahntechnik

Linzer Museum für Geschichte der Zahnheilkunde und Zahntechnik

Do. 28 November 2013

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LINZ – Von aufwendigen Wachsmoulagen über Geißfüße und Pelikane bis hin zum Zahnschlüssel als jüngstes Extraktionsinstrument – die Sonderausstellung mit dem Titel „Open your mouth and shut your eyes“ im Zahnmuseum Linz zeigt historische Ordinationseinrichtungen und Behandlungsinstrumente, die den Alltag der Zahnärzte von anno dazumal beleuchten.

Im Zahnmuseum Linz hat das ambitionierte Team eine Sonderausstellung mit dem Titel „Open your mouth and shut your eyes“ gestaltet. Die ausgestellten Objekte sind genau und verständlich beschrieben, was aber nicht zu Lasten der Übersichtlichkeit geht. Das Ausstellungsmotto wurde dem Namen einer Porzellanfigurengruppe von 1850 der Manufaktur Conta und Böhme aus Thüringen entlehnt, die eine Szene aus einem englischen Kinderlied darstellt.

Neben dieser herzigen Porzellangruppe, die, wie auch noch andere schöne Objekte der Präsentation eine Leihgabe des Dentalhistorischen Museums Zschadraß von Zahntechnikermeister Andreas Häsler ist, kann das Zahnmuseum Linz noch Einmaliges aus der Geschichte der Zahnheilkunde zeigen. Leihgeber sind weiters noch das Karl Sudhoff Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften der Universität Leipzig, das pathologisch-anatomische Bundesmuseum im Narrenturm in Wien sowie das Apothekenmuseum im Schloß Pragstein in Mauthausen, 25 Kilometer donauabwärts von Linz gelegen.

Die ältesten sind eine original Weihegabe der Etrusker aus Ton sowie berühmte historische Nachbildungen einer etruskischen und einer phönizischen Goldarbeit aus 600 bzw. 400 vor Christus. Die antiken Goldarbeiten stammen aus der berühmten Sammlung von Zahnarzt Vincenzo Guerini (1859 - 1955) aus Neapel. Er fertigte diese hochinteressanten Werke streng nach den antiken Vorbildern Ende des 19. Jahrhunderts an.

Von aufwendigen Wachsmoulagen bis hin zu Geißfüßen und Pelikanen

Auch aus Leipzig vom Karl Sudhoff Institut für Geschichte der Medizin bekam das Zahnmusuem Linz großzügigerweise zwei wunderschöne Wachsmoulagen. Solche Wachsmoulagen wurden seit der Renaissance als detailgetreue dreidimensionale Abbildungen der Anatomie und Pathologie zu Studienzwecken für Ärzte gefertigt (berühmte Beispiele in Florenz, Bologna und Wien). Moulageure waren hochspezialisierte Künstler, die in meist geheim gehaltenen Verfahren Krankheitsbilder anschaulich darstellten, die in ihrer damaligen Ausprägung heute aufgrund der Fortschritte der Medizin kaum mehr zu sehen sind.

Zuerst wird ein genaues Negativ der Körperregion genommen, dieses dann mit Wachs ausgegossen. Dieses Wachspositiv wird naturgetreu mit Ölfarbe bemalt und hintermalt. Auch die Farb- und Wachszusammensetzung war geheim und wurde von jedem Moulageur selbst entwickelt. So ist jede Moulage ein unbezahlbares Einzelstück, das auch in konservatorischer Hinsicht sehr anspruchsvoll ist. Die beiden in der Anfertigung besonders schwierigen hier präsentierten Abbildungen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten wurden noch nie öffentlich zugänglich gemacht.

Ebenfalls aus diesem führenden Institut für Medizingeschichte stammen einige der schönsten Instrumente der Geschichte der Zahnheilkunde, wie zwei Geißfüße und zwei verschieden große Pelikane aus der Sammlung Robert Ritter von Töply (1815 - 1895). Trotz seiner Ähnlichkeit mit einem modernen Hebel wird mit dem Geißfuß ganz anders gearbeitet. Es wurde nicht luxiert durch kleine Bewegungen, sondern der Zahn schräg mit einer Schub- oder Stoßbewegung von außen nach innen herausgestoßen in Richtung einer schiefen Ebene. Bei einer Extraktion auf der rechten Seite stand der Behandler hinter dem Patienten, bei einer Extraktion eines linken Zahnes stand er direkt vor dem Patienten. Der Vorläufer des heute so viel verwendeten Bein`schen Hebels ist übrigens nicht der Geißfuß, sondern der Hebel nach Louis Lecluse (1724), der zur Luxation von Weisheitszähnen dient. Er wird auch heute noch produziert und verwendet. Der Geißfuß war ein sehr gefährliches Instrument. Schwere Verletzungen des Gaumens, des Mundbodens, der Zunge oder der Wange waren leider nicht selten.

Der Pelikan ist das älteste Extraktionsinstrument (abgesehen von Zangen in der Antike zum Entfernen gelockerter Zähne) – erste Erwähnung 1363. Die Kralle des Pelikans wird über den zu extrahierenden Zahn geworfen und das Widerlager gegen den Alveolarfortsatz der benachbarten Zähne vestibulär oder direkt gegen die Nachbarzähne gedrückt. Mit starkem Druck auf den Griff (UK nach caudal, OK nach cranial) wurde der Zahn aus der Alveole gebrochen.

Nachteile waren oft Fraktur der äußeren Alveolarwand, weil die Lockerung nur nach horizontal erfolgte. Oft wurden auch die als Widerlager verwendeten Nachbarzähne aus dem Knochen gedrückt oder beschädigt.

Schröpfschnäpper, Lasseisen, Lanzetten & Aderlasstafeln

Auch aus dem pathologisch-anatomischen Bundesmuseum im Narrenturm in Wien konnten Raritäten nach Linz gebracht werden. Zum Beispiel Aderlass-Instrumente wie Schröpfschnäpper, Lasseisen und Lanzetten, die zum Teil reich verziert und auch nach zweihundert Jahren noch voll funktionsfähig sind und als Beispiele des hochentwickelten medizinischen Instrumentenbaus früherer Tage gelten.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein vollführten Bader eine Vielfalt von Aufgaben: Aderlass, Zahnziehen, Wundbehandlung und mehr. So berichtete Guy Patin 1621, Aderlass habe ihm bei heftigen Zahnschmerzen schlagartig geholfen. Zur Durchführung verwendeten sie zunächst sogenannte Lasseisen oder Flieten, die in eine oberflächliche Vene geschlagen wurden. Später verfeinerte man das Instrumentarium. Es wurden Lanzetten und Schnäpper gebraucht. Das waren runde oder würfelförmige Metallbehälter aus Messing oder Eisenblech, aus denen durch Federdruck durch einen Auslösemechanismus gehaltene parallele scharfe Klingen herausspringen konnten. In einer Aderlassschüssel wurde das Blut aufgefangen und die Menge abgemessen. Abgenommen wurden bei Erwachsenen unterschiedliche Mengen, meist ca. 250 Milliliter Blut.

Ein Hilfsmittel waren die Aderlasstafeln. Sie zeigten, welche Ader bei welcher astrologischen Konstellation zu öffnen sei, denn man glaubte seit der Antike an einen Zusammenhang zwischen den Gestirnen und den Körperteilen und deren Erkrankungen. Ein guter und gelehrter Arzt musste also gleichzeitig etwas von Astrologie und von Medizin verstehen. Die Aderlasstafel, die für uns heute nichts als abergläubischer Unfug ist, diente ihm als Richtschnur.

Aus der weltberühmten pathologisch anatomischen Präparatesammlung im Narrenturm in Wien stammen sehr interessante, einmalige Objekte. So ist ein Trichobezoar (ein steinartig festes Konvolut aus Haaren aus dem Magen bestimmter Tiere) ausgestellt. Diesen Bezoaren wurde eine wundersame Heilwirkung gegen Vergiftungen zugeschrieben. Sie wurden zerrieben und Speisen oder Getränken beigemischt. Ebenso sind mehrere Feuchtpräparate aus dem 18. und 19. Jahrhundert wie zum Beispiel ein großes Adamantinoodontoblastom, ein in der Regel im Unterkiefer auftretender nicht metastasierender Tumor aus zahnbildenden Zellen, in Formalin konserviert.

Der Zahnschlüssel als jüngstes Extraktionsinstrument

Durch die Leihgaben aus dem Dentalhistorischen Museum in Zschadraß kann eine Chronologie der Zahnschlüssel von 1750 bis 1880 gezeigt werden. Der Zahnschlüssel ist das jüngste Extraktionsinstrument in der Geschichte der Zahnheilkunde. Der Erfinder des Instruments ist unbekannt. Kurioses Detail: In England hieß er „German Key“, deutsche Zahnärzte glaubten, er komme aus England, der Zahnschlüssel wurde daher „Englischer Schlüssel“ genannt.

Die Vorteile des Zahnschlüssels: Eine Extraktion war auch bei wenig weit geöffnetem Mund möglich, auch konnte ein Zahn entfernt werden, ohne Druck auf die Nachbarzähne, diese werden in der Regel nicht beschädigt. Als Nachteile des Zahnschlüssels sind häufige Kronenfrakturen und Bruch des Alveolarkammes sowie Quetschung der Gingiva zu nennen.

Der „Schlafschwamm“ als frühe Methode zur Betäubung

Das sehr gediegene Apothekenmuseum in Mauthausen stellt ein Apothekerstandgefäß für „Extractum opii aquosum“ zur Verfügung. Dieses findet in einer Installation mit einem Schlafschwamm seine Verwendung in der Museumspräsentation, geschmückt mit Mohnblumen- und Kapseln. Der Schlafschwamm, diese frühe sehr wirksame Methode zur Betäubung durch Inhalation, wurde von ca. 880 bis 1500 durchgeführt. Ein Naturschwamm wurde mit Opiumextrakt (Extractum Opii aquosum) getränkt und dann getrocknet. So kam der Schlafschwamm in den Handel und wurde von Ärzten, Badern, Wundärzten, und Zahnbrechern gekauft. Durch Erhitzen des Schwammes über kochendem Wasser konnte die Droge mit dem Wasserdampf eingeatmet werden. Sie ist Zeugnis dafür, dass auch schon früher Ärzte verstanden, Schmerzen zu bekämpfen. Die Erzählungen von immer brutalen und extrem Schmerzen verursachenden zahnärztlichen Behandlungen werden so als unrichtig entlarvt, entsprechend dem Untertitel der Sonderausstellung: „Jede Wissenschaft hat ihre Zeit“.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen nacheinander die Lachgasanalgesie und die Tropfnarkose mit Äther oder Chloroform, bis in die 1950er Jahre auch bei uns die Standardmethode zur Betäubung bei Operationen, in Gebrauch. Auch für die Anwendung dieser Verfahren zeigte die Sonderausstellung frühe Geräte. Eingegangen wurde dabei natürlich auch auf die entscheidende Rolle, die Zahnärzte bei der Entwicklung dieser Verfahren, ohne die die moderne Medizin undenkbar ist, spielten. Nicht nur unter diesem Aspekt ist zu hinterfragen, wieso gerade in Österreich im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern der Welt, Zahnärzte nicht alleinverantwortlich die ungefährliche Lachgasanalgesie in ihren Ordinationen nach spezieller Ausbildung durchführen können. Das würde vielen Patienten helfen, vorhandene Zahnarztangst abzubauen.

Auch im Jahr 2013 war die „Lange Nacht der Museen“ im Oktober für das Linzer Museum für Geschichte der Zahnheilkunde und Zahntechnik ein großer Erfolg. So wurden in einem Beitrag in der allabendlichen Nachrichtensendung sowie in einer Presseaussendung des ORF erwähnt, dass das Zahnmuseum Linz „regelrecht gestürmt“ wurde von Besuchern. Durch Musik und die kleine „Museumsbar“ war rasch gute Stimmung hergestellt.

Der Bereich der Zahntechnik wurde im Museum erweitert und mit Liebe zum Detail und großer Fachkenntnis vom Innungsmeister der Oberösterreichischen Zahntechniker, ZTM Franz Reisinger, übersichtlicher gestaltet. Der Baderstuhl von 1720 war wieder ein Publikumsmagnet. Neben nunmehr acht kompletten Ordinationseinrichtungen inklusive funktionsfähiger Einheiten mit Speibecken, Ordinationsschränken, Beistelltischen, Zahnarzthocker und Beleuchtung von 1900 bis 1985, Röntgengeräten von 1930 bis in die 70er Jahre, Kieferorthopädie von anno dazumal und Implantaten mit Augmentationsmaterialien können die Besucher jetzt die „neueste Mitarbeiterin“ bewundern: Es ist dies eine lebensgroße Puppe in einer alten originalen Festtracht einer Schwesternschülerin aus dem AKH Linz mit kessem Häubchen.

Linzer Museum für Geschichte der Zahnheilkunde und Zahntechnik
„Open your mouth and shut you eyes“-Sonderausstellung bis 2. Mai 2014
Öffnungszeiten Mo. – Fr. 9 – 13 Uhr, Do. und Fr. auch 14 – 17 Uhr
Hauptplatz 1 und Pfarrgasse 9
4020 Linz
www.zahnmuseum-linz.at

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