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Dentalhygienikerin oder Prophylaxeassistentin?

Der Beruf der Dentalhygenikerin erfährt weltweit Akzeptanz - außer in Deutschland und Österreich (Foto: kristian sekulic).
Dr. Claudia Luciak-Donsberger

Dr. Claudia Luciak-Donsberger

Do. 5 November 2009

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WIEN – Die weltweite Verbreitung und Akzeptanz des Berufsbildes „Dentalhygiene“ ist eine überzeugende Erfolgsstory. Vor 100 Jahren in den USA ins Leben gerufen, wurde der Beruf in den 1940er-Jahren nach Europa „importiert“ und ist heute in 22 europäischen Ländern etabliert. Warum nicht auch in Österreich?

Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass sich in den vergangenen 10 Jahren die Zahl der Zahnärzte/-
innen (ZA) in der EU und dem europäischen Wirtschaftsraum um 12% erhöhte, die Zahl der Dentalhygieniker/-innen (DHs) ist hingegen gar um 86% gestiegen. Das bedeutet, dass sich das Verhältnis ZA zu DH von 1:18 auf 1:11 reduziert hat. Dennoch gibt es in den USA, Kanada, Japan und Korea etwa 15 Mal so viele DHs wie in Europa, mit einer vergleichbaren Anzahl von Zahnärzten/-innen (ZA) und einer vergleichbaren Bevölkerungsgröße. In den USA arbeiten derzeit ca. 150.000 DHs im Vergleich zu ca. 100.000 ZA. Eine aktuelle Umfrage der Sozialversicherungsbehörde in Stockholm zeigt, dass in den meisten schwedischen Zahnarztpraxen ein ZA, ein bis zwei DHs und ein bis zwei Prophylaxeassistenten/-innen (PAs) tätig sind. Längerer Zahnerhalt und die prognostizierte Überalterung der Bevölkerung (in Japan gibt es bereits 40.000 Menschen, die über 100 Jahre alt sind) wird die Nachfrage weiter ansteigen lassen. Warum konnte sich dieser Beruf in manchen Ländern so erfolgreich durchsetzen und in anderen, wie Österreich, nicht?

Zahnkaries und entzündliche Parodontalerkrankungen sind die häufigsten Erkrankungen im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich, deren Nicht-Therapie zum Zahnverlust führt. „In Deutschland sind immer noch
mehr als 95% der Erwachsenen von einer der beiden Erkrankungen betroffen“, so Dr. Dietmar Oesterreich und Dr. Sebastian Ziller von der deutschen Bundeszahnärztekammer. In Ländern, in denen DHs zum Einsatz kommen, ist ein signifikanter Rückgang dieser Erkrankungen zu verzeichnen. Die  Aufnahme präventiver Zahnbehandlungen in den Leistungskatalog vieler Versicherungen unterstreicht ihre Wichtigkeit und trägt dazu bei, dass die Öffentlichkeit diese Leistung fordert. In den USA zeigt sich, dass seit Jahren signifikant mehr präventive als restaurative zahnmedizinische Leistungen erbracht werden. Daher braucht man dort mehr Dentalhygieniker/-innen als Zahnärzte/-innen. Die  DH-Behandlung ist die medizinische Intervention, die mit der größten Regelmäßigkeit in Anspruch genommen wird. Jeder kennt in den USA das Berufsbild der DHs von klein auf. Es wurde sogar von Frank Zappa besungen und der berühmte Talkmaster Jay Leno witzelte „die einzige Beziehung im Leben, die wirklich von Dauer ist, ist die zu meiner Dentalhygienikerin!“

In den USA, Kanada, Japan, und Korea gibt es für präventive Tätigkeiten ausschließlich das Berufsbild der DH. Der Einsatz von Prophylaxeassistenten/-innen ist aus Gründen der Qualitätssicherung gesetzlich untersagt. Dasselbe gilt für einige europäische Länder, wie z.B. England, Italien, Portugal, Irland und die Slowakei. Aufgrund der regen Nachfrage nach prophylaktischen Dienstleistungen wurde hingegen in einigen wenigen europäischen Ländern zusätzlich zum DH-Beruf das neue Berufsbild „Prophylaxeassistent/-in“ geschaffen, als Weiterbildung für zahnärztliche Assistenten/-innen. Ein  Beispiel ist unser Nachbarland, die Schweiz. Dort wurde der Dentalhygieneberuf vor über 40 Jahren eingeführt. Obwohl es vor 10 Jahren bereits ca. 1.400 DHs gab, (heute sind es ca. 1.800), führte die rege Nachfrage und der Mangel an ausgebildeten DHs vor einigen Jahren dazu, dass die Schweizer Zahnärztegesellschaft das Berufsbild „Prophylaxeassistentin“ schuf. Durch die kurze Ausbildungszeit von 6 Monaten wurde so der Markt in Kürze mit PAs überschwemmt und führte zur Problematik, dass viele PAs für Arbeiten an Patienten/-innen eingesetzt werden, für die sie nicht qualifiziert sind. Diese  Situation wurde von der Schweizer Diplomdentalhygienikerin und Lehrenden an der Prophylaxeschule Bern, Eva Lädrach, in ihrer Diplomarbeit zum Thema „Wie viel Qualität bietet die Weiterbildung zur Prophylaxeassistentin“ an der Fachhochschule Bern detailliert untersucht und beschrieben. In ihren
Schlussfolgerungen sieht sie eine Berechtigung für den PABeruf nur dann, wenn Absolventen/-innen nach ihrer kurzen Ausbildungszeit ausschließlich für die Instruktion, Motivation und für die supragingivale Behandlung von Kindern und Jugendlichen  eingesetzt werden und dadurch Familien ein  kostengünstigerer Zugang zur Vorbeugung ermöglicht wird.

Jedoch ortet sie eine Reihe von Problemen, die hervorheben, dass dieser Beruf nur dann zu verantworten ist, wenn er auch mit Verantwortung ausgeübt wird und wenn klar zu definierende  Einsatzbereiche auch eingehalten werden. Lädrach stellte fest, dass PAs nicht immer nach ihren Fähigkeiten eingesetzt und den Patienten/-innen häufig als DHs „verkauft“ werden, wobei ihnen sogar der höhere DH-Tarif verrechnet wird. Sie schreibt, wenn Dentalassistenten/- innen durch Prophylaxeassistent/-innen ersetzt werden, ist „meistens finanzielles Profitstreben der Praxisinhaber der Grund für den Missbrauch“. Weiters stellt sie fest: „Qualität kann hier dem Teil der Patienten nicht mehr geboten werden, die parodontale Probleme haben, denn durch eine unqualifizierte Behandlung kann dem Patienten langfristig ein großer Schaden entstehen, der möglicherweise irreparabel ist. Dem Patienten wird jahrelang eine falsche Tatsache vorgespielt, da er der Meinung ist, seiner  Mundgesundheit regelmäßig etwas Gutes zu tun.“

Ein Opfer dieses Missbrauchs ist die Schweizer Gesundheitsökonomin Yvonne Hasler. In ihrer
Diplomarbeit im Masterstudium Public Health an der Medizinischen Universität Wien mit dem Titel „Gesunde Zähne in allen Lebensphasen – heutiger Stand und Trends der Parodontitis-Prävention“ beschreibt sie u.a. ihren eigenen Fall. Nach jahrelanger regelmäßiger „Behandlung“ bei einer Schweizer PA erfuhr sie durch die Recherchen für ihre Arbeit, dass es signifikante Unterschiede in den Ausbildungen und Einsatzbereichen der PAs und der DHs gibt. Verunsichert suchte sie eine Diplom-DH auf und musste feststellen, dass sie unter einer schweren unbehandelten Parodontalerkrankung litt – mit Sondierungstiefen bis zu 9 mm. Erst mithilfe der DH lernte sie, ihre Zähne effizient zu reinigen und erhielt eine subgingivale Entfernung der seit Jahren gehärteten Konkremente. Die Schlussfolgerung ihrer Diplomarbeit, die eine Kostenberechnung einer lebenslangen Dentalhygieneversorgung beinhaltet, ist, dass die regelmäßige Prophylaxebehandlung bei Diplom-DHs wesentlich kostengünstiger ist als die Folgekosten, die durch aufwendige Therapie unbehandelter Parodontalerkrankungen und durch festsitzenden Zahnersatz entstehen.

In Österreich und Deutschland zäumte man das Pferd gleich von hinten auf, indem der PA- vor dem DH-Beruf eingeführt wurde. Vielmehr gibt es in Österreich noch gar keine DHAusbildung und den Beruf üben nur wenige, im Ausland ausgebildete DHs aus. Dadurch kann man Qualitätsunterschiede gar nicht erfassen, da kaum jemand Erfahrung mit den Leistungen qualifizierter DHs hat und es auch wenige DHs gibt, die PAs ausbilden oder in ihrer Praxiszeit supervidieren könnten (wie es in der Schweiz, den Niederlanden oder in Schweden üblich ist). Auch die Öffentlichkeit bemerkt die Qualitätsunterschiede nicht und Beschwerden gibt es meist erst dann, wenn durch zufälligen professionellen Kontakt zu einer DH erkannt wird, was in all den Jahren davor fälschlicherweise als Qualität „verkauft“ wurde. Dieses Unverständnis darüber, dass Ausbildung und Einsatzbereiche signifikant divergieren, wird durch die Benennung einer Fortbildungseinrichtung für PAs als „Dentalhygieneschule Graz“ evident.

Dabei fordern österreichische PAs, die verantwortlich handeln möchten, eine längere und bessere Ausbildung, da sie sich ihrer fachlichen Grenzen bewusst sind und oft nicht ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden.

In Deutschland entstand aus der Fortbildung zur PA die berufsbegleitende Fortbildung zur DH, ein Fortbildungsweg der im Durchschnitt 7 Jahre dauert, ca. 900 Ausbildungsstunden beinhaltet, und nicht zu einer Diplomierung führt (im Unterschied zu den mehr als 5.000 Stunden für eine fundierte, 3- bis 4-jährige DH-Ausbildung mit Diplom oder Bachelor Abschluss). Das deutsche Fortbildungsmodell ist weltweit einzigartig, da es trotz langer Anlaufzeit zu wenig qualitätsgesichert ist, um dem Markt gerecht zu werden.

Österreich braucht dringend eine qualifizierte DH-Ausbildung – und für das Berufsbild der PA müssen Einsatzbereiche klar definiert werden, die den Fertigkeiten, die man in 150 Stunden Fortbildung erlangen kann, entsprechen. Ein idealer Bereich wäre die Schulzahnpflege und die Aufklärung und Behandlung junger Patienten/-innen, die meist ohne Instrumentieren erfolgen kann. Die PA-Fortbildung darf nicht
zum „falschen Einsatz von Berufsangehörigen führen, die einzelnen Patienten möglicherweise Schaden zufügen können“ (E. Lädrach). Europaweit hat sich der DH-Beruf seit Jahrzehnten bewährt. Was ist in  Österreich anders, dass hierzulande immer noch erhoben werden muss, ob überhaupt ein Bedarf
für diesen Beruf besteht?

Auf internationalen Kongressen werde ich oft gefragt, wie ich es erlebe, als DH in einem Land zu arbeiten, in dem mein Beruf nicht etabliert ist. Meist antworte ich: „Meine Erfahrung hat zwei Seiten – einerseits werde ich von meinem Arbeitgeber und von meinen Patienten/-innen sehr wertgeschätzt – die Patienten/-innen sehen es fast wie einen Lottogewinn, einen Behandlungstermin bei einer von insgesamt nur 10 Diplom-DHs in Österreich zu bekommen und fachgerecht behandelt zu werden. Diese Seite meines Berufs bringt mir viel Freude. Andererseits ist es auch sehr belastend, immer wieder erleben zu müssen, wie diese sympathischen und motivierten Menschen keine oder falsche Behandlungen erlitten haben und die (teilweise sehr hohen) Folgekosten aus eigener Tasche tragen müssen – ihre Wut und ihre Traurigkeit geht nicht spurlos an mir vorbei, gibt mir jedoch die Energie, mich für Qualitätssicherung einzusetzen.“

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