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„Die Erwachsenenbehandlung ist ganz klar zunehmend“

Erwachsene bevorzugen eher eine keramische Variante, als eine feste Spange (Foto: shutterstock.com).
Jeannette Enders, DTI

Jeannette Enders, DTI

Mi. 7 Oktober 2009

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LEIPZIG - Die kieferorthopädische Behandlung von Kindern und Erwachsenen gibt es viele Unterschiede. Gerade bei den Maßnahmen für Erwachsene zeichnen sich gewisse Trends ab. Ein Interview mit Prof. Dr. Andrea Wichelhaus, Leiterin der Poliklinik für Kieferorthopädie der Ludwig-Maximilian-Universität München.

Sehen Sie einen verstärkten Trend zu kieferorthopädischen Maßnahmen im Erwachsenenalter?
Ja, auf jeden Fall. Das dentale Bewusstsein nimmt zu: nicht nur in der Ästhetik, sondern auch in
der Funktion. Die prothetischen Versorgungen sind ja auch besser geworden, das heißt, man
braucht bessere Ausgangsbedingungen, um einen Zahnersatz machen zu können. Wir machen
ganz häufig auch Vorbehandlungen, zum Beispiel vor Implantaten und prothetischer Behandlung. Das
Bewusstsein hat sich geändert und die Erwachsenenbehandlung ist ganz klar zunehmend.

Warum und wann sollten sich Erwachsene, deren Zähne seit Jahren schief stehen, behandeln
lassen?

Natürlich aus funktionellen Gründen, das ist das, was wir primär sehen. Wenn Zähne falsch stehen, werden sie häufig auch falsch belastet. Das kann den Zahnhalteapparat schädigen, das Zahnfleisch kann sich frühzeitig zurückziehen oder die Zähne stehen zu eng, um sie gut reinigen zu können, was dann zu einer frühen Karies führen kann. Der Patient sieht natürlich primär nicht die funktionellen
zahnärztlichen Aspekte, sondern die ästhetischen. Und man weiß ja, dass die Zähne einen wichtigen Punkt in der Gesichtsästhetik darstellen.

Stichwort Ästhetik: gerade auffällige Brackets werden häufig als ästhetisch störend empfunden. Welche Möglichkeiten bietet die moderne Kieferorthopädie den Patienten?
Im Prinzip kann man für alle Patienten etwas anbieten. Neben den konventionellen Stahlbrackets gibt es keramische Varianten, die man von außen auf die Zähne kleben kann. Wem das immer noch zu auffällig ist, dem kann auch eine feste Spange an der Zahninnenseite befestigt werden, so dass man von außen
gar nichts mehr sieht. Dann gibt es noch eine weitere Alternative, mit der man jedoch nicht alle Fehlstellungen wird behandeln können: das sind durchsichtige Schienen, die in Form von  unststoffkappen
über die Zähne gestülpt werden. Allerdings sind die festen Apparaturen präziser und wirksamer.

Was wird von den Patienten bevorzugt?
Der Patient möchte natürlich einen Eingriff, der so konservativ und wenig invasiv wie möglich ist. Die Wahl der Apparatur hängt davon ab, welche Fehlstellung beim Patienten vorliegt. Wenn die Zähne nur wenig gedreht sind, kann ich das mit minimalem Aufwand  korrigieren. Bei größeren Fehlstellungen, wenn beispielsweise Zähne entfernt werden müssen, weil nicht genug Platz vorhanden ist, ist eine geklebte Variante mit festen Brackets besser,weil der gesamte Zahn mitsamt der Wurzel gezielt bewegt
werden kann. Diese Aspekte sind für die Stabilität des Behandlungsergebnisses entscheidend.

Welche Vorteile haben feste Apparaturen gegenüber herausnehmbaren Spangen?
Das hat in erster Linie biomechanische Vorteile. Mit herausnehmbaren Apparaturen können die Zähne nur gekippt, aber nicht körperlich bewegt werden. Wenn ich den Zahn im Ganzen an eine andere Position setzen muss, brauche ich eine festsitzende Zahnspange. Prof. Dr. Andrea Wichelhaus

Inwiefern unterscheidet sich die kieferorthopädische Behandlung eines Erwachsenen von der eines Kindes?
Rein biologisch gesehen haben junge Patienten eine bessere Gewebereaktion beim Knochenumbau.
Das heißt aber nicht, dass man kieferorthopädische Eingriffe bei älteren Patienten nicht mehr durchführen darf. Das biomechanische System, also Kräfte und Drehmomente, müssen anders aufgebracht werden und man muss eine andere Technik verwenden. Erwachsenenbehandlungen
sind daher aufwendiger. Aber eine Behandlung ist generell möglich und keine Frage des Alters. Mein ältester Patient war 75 Jahre alt.

Neben der Beseitigung von optisch störenden Fehlstellungen deckt die Kieferorthopädie noch andere wichtige Bereiche ab – Stichwort: Kiefergelenksprobleme/Schnarchen, etc. Wie gut sind hier die Erfolgsaussichten nach einem kieferchirurgischen Eingriff?
Kieferchirurgische Behandlungen werden bei Patienten durchgeführt, die starke skelettale Abweichungen haben, die man vielleicht im Kindesalter nicht behandeln hat. Wenn der Kiefer ausgewachsen ist, kann man keine orthopädischen Effekte mehr erzielen. Der Vorteil in einer frühen Behandlung liegt darin, dass das Wachstum zu beeinflussen ist. Man kann orthopädisch arbeiten. Neben den festsitzenden Zahnspangen haben auch die herausnehmbaren ihre Indikation bei  Jugendlichen: weniger um Einzelzähne zu bewegen, sondern mehr um orthopädische Effekte zu erzielen. Wird das nicht in jungen Jahren durchgeführt und die Abweichung ist stark ausgeprägt, kann
man das im Erwachsenenalter nur noch operativ beseitigen. Wenn beispielsweise der Unterkiefer
sehr groß ist und die Unterkieferfront über die Oberkieferfront beißt, kann man den Unterkiefer in toto nur noch künstlich brechen und zurücksetzen. Die Erfolgsaussichten sind bei solchen Eingriffen sehr
gut. In jungen Jahren hätte hier eine konservative Behandlung durchgeführt werden können,
im Erwachsenenalter ist nun ein operativer Eingriff nötig. Kiefergelenkserkrankungen treten im Erwachsenenalter auf und können verschiedene Ursachen haben. Dysfunktionen, Bindegewebsschwäche etc. Bei der Behandlung von Kompressionsgelenken beispielsweise
bedarf es immer eines interdisziplinären Teams aus Kieferorthopäde, Prothetiker oder Chirurg.
Auch die Behandlung von Spalten im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich gehört meiner Meinung nach in ein interdisziplinäres Zentrum und an eine Klinik.

Recht vielen Dank für das Gespräch!

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