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Wenn eine Behandlung nicht mehr möglich ist

In einigen wenigen Fällen gehen die Positionen über die Behandlung auseinander, Zahnarzt und Patient haben alles andere als ein gutes Verhältnis. (Bild: Diego Cervo)
Univ.-Prof. DDr. Martin Richter

Univ.-Prof. DDr. Martin Richter

Di. 15 Februar 2011

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INNSBRUCK - Manchmal scheint es keinen Ausweg zu geben: Der Ton zwischen Patienten und Behandler wird rauer, das Vertrauensverhältnis ist gestört. Eine Behandlungsfortsetzung ist für den Zahnarzt oder Kieferorthopäden ein Albtraum, ein Abbruch scheint die Lösung zu sein. Doch beim Worst Case müssen rechtliche Bedingungen beachtet werden.

Der Kieferorthopäde Dr. Christian Jung* übernimmt vom Kieferorthopäden Dr. Franz Alt die Ordination mit der Auflage, dessen Patienten/-innen weiter und zu Ende zu behandeln. In den ersten Wochen nach der Ordinationsübergabe lernt Jung auch den minderjährigen Patienten Peter Plakviel bei einem aus Organisationsgründen nur kurz anberaumten Termin kennen. Der Kieferorthopäde, der zuvor noch keine Gelegenheit gefunden hatte, sich mit den Behandlungsunterlagen des jungen Patienten zu befassen, sieht im Moment keine Notwendigkeit für eine akute Änderung der bisher benützten festsitzenden Apparatur, ermahnt schnell einmal zu besserer Mundhygiene und beschließt, beim nächsten Termin in einem Monat die Evaluation des Falles vorbereitet zu haben. Dann will der Kieferorthopäde die vermutlich nötigen – Alt führte, höflich formuliert eine veraltete Behandlung durch – behandlungstechnischen Veränderungen vornehmen.

Peter erscheint aber zum vereinbarten nächsten Behandlungstermin nicht. Darüber ist Jung im Grunde genommen nicht unglücklich, da ihn die gesamte Übernahmesituation ohnehin zeitlich gewaltig (über-)fordert. Ein halbes Jahr später erscheint Peter mit seiner Mutter doch in der Ordination. Dabei, allerdings erst gegen Ende der im folgenden geschilderten Auseinandersetzung, erfährt Dr. Jung, dass Peter in der Zwischenzeit eine sehr schwere Krankheit überstanden habe. Vorderhand ist der Kieferorthopäde nur über die Akkumulierung von Plaque, unter der Peters Brackets und Bögen versteckt sind, entsetzt. In Anwesenheit der Mutter schabt Dr. Jung an einer Stelle die Plaque weg, zeigt das Ergebnis der Mutter, weist auf die entstandenen tiefen Schmelzschäden (bis ins Dentin) hin, und spricht ein paar fachmännisch kritische Worte, die sich jeder Leser selbst ausmalen kann.

Die Mutter reagiert aggressiv empört und fragt vorwurfsvoll, ob Dr. Jung damit sagen wolle, ihr Sohn könne nicht Zähneputzen und sei gewissermaßen ein behindertes oder debiles Kind. Auch habe die Familie keine Kosten gescheut und eine teure elektrische Zahnbürste nach dem letzten Stand der Technik gekauft. Jung erwidert, er habe nicht gesagt, dass Peter nicht Zähneputzen könne, sondern, dass er dies nicht getan habe, und schabt zum Beweis an einer anderen Stelle noch mehr Plaque weg – doch die Mutter schaut bewusst nicht hin. Der Kieferorthopäde gibt der Assistentin laut die Anweisung, die Bögen zu entfernen, damit Peters Mundhygiene leichter gelingen könne (obwohl die Bögen des Dr. Alt durchaus kein kompliziertes Drahtgewirr darstellen), und ordnet einen neuen Termin in 14 Tagen an, für den, bei einem sauberen Mundraum, viel Arbeitszeit einzutragen sei. Die Mutter verbietet allerdings mit erhobener Stimme die geplante Entfernung der Bögen, doch setzt sich Dr. Jung mit ebenfalls energiegeladener Stimme durch: Die Assistentin entfernt die Drahtbögen. Diese Bögen, denen man höchstens den Sinn von „Stabilisierung der gegebenen unperfekten Zahnbogenverhältnisse“ zusprechen könnte – aber, juridisch gesehen, immerhin dies –, werden dem Patienten nicht mitgegeben. „Wenn Sie sich nicht an meine Anweisungen halten wollen, dann behandle ich Ihren Sohn nicht, damit das klar ist“, sind die letzten Worte von Jung. Die Mutter beschwert sich mit scharfen Worten über die Unverschämtheit dahergelaufener zahnärztlicher Frischlinge, lobt die warmherzige Betreuung durch eine Koryphäe wie Alt und verlässt, sichtlich grollend und ohne Gruß, mit ihrem Sohn die Ordination. Und erscheint in 14 Tagen wiederum nicht. Darüber ist Jung durchaus nicht unglücklich. Denn: Er ist zum Abbruch der Behandlung entschlossen und ist sich der Möglichkeiten des Paragrafen 38 des Zahnärztegesetzes (Rücktritt von der Behandlung) bewusst. Die forensische Beurteilung der geschilderten Situation erfordert allerdings Aufmerksamkeit in mehreren Bereichen.

Richtiges Verhalten
Nun, schön der Reihe nach.

  1. 1. Bei einer Übernahme einer Ordination mit Patienten/-innen, die in laufender Behandlung stehen, das Übliche in der Kieferorthopädie oder gleichermaßen bei Übernahme eines Transferfalles, haftet der neue Besitzer ab dem Zeitpunkt der Übernahme, nennen wir dies den Tag X, jedoch nicht für das, was zuvor geschah (oder leider nicht geschah).
     

2. Der Übernehmer ist verpflichtet, sich unverzüglich ein eigenes Urteil über die richtige weitere Behandlung ab dem Tag X zu verschaffen. Er würde solidarisch mithaften, wenn er einen fehlerhaften Behandlungsplan weiter und zu Ende führen würde. Kann sich der Übernehmer mit dem bisherigen Vorgehen nicht identifizieren, kann das zu schier katastrophalen Situationen wie Behandlungsplanumkehr, gewaltigen Enttäuschungen der Patienten/-innen und zu argem Zwist unter Kollegen/-innen (Dr. Jung gegen Dr. Alt) führen – oder zu rhetorischen Seiltänzen auf psychologischen Dschungelpfaden und zu heiklen forensischen Risiken seitens des Übernehmers.

3. Für das eigene unverzügliche Urteil fehlt bei Transferfällen die Zeit nicht, bei Praxisübernahme vermutlich schon. Die zumutbare Zeittoleranz für die auch forensisch qualifizierte Übernahme der Patienten/-innen (siehe Punkt 2) sehe ich innerhalb der ersten Wochen nach dem im Übergabevertrag fixierten Tag X. Die Anzahl der Wochen muss einstellig sein – binnen zehn Wochen muss man alle in laufender Behandlung übernommenen Patienten/-innen kennengelernt haben, will man der Sorgfaltspflicht genügen. Aber beim allerersten Termin müssen noch keine korrigierend-aktiven Maßnahmen gesetzt werden, die der anderen fachlichen Überzeugung des übernehmenden Kieferorthopäden entspringen (ausgenommen sind Gegenmaßnahmen bei akuten Problemen wie stechende Drähte). Somit waren das allererste Kennenlernen und das darauf folgende Zuteilen eines zeitintensiven Behandlungstermins einen Monat später für Peter Plakviel korrekt.

4. Das stillschweigende Tolerieren, das durch den Stress in der Ordination begünstigt wird, des Nichterscheinens von Peter war nicht korrekt.

5. Die Entfernung der Bögen gegen den Willen der Mutter war nicht korrekt. Ein Patient, hier rechtlich vertreten durch die obsorgeberechtigte Mutter, darf zu keiner ärztlichen Behandlung gezwungen werden (die Ausnahmen in lebensbedrohlichen Grenzsituationen spielen hier keine Rolle).

6. Bei den Punkten 4 und 5 greift der Paragraf 18 Punkt 6 des Zahnärztegesetzes: „…haben insbesondere aufzuklären über die Folgen der Behandlung sowie Folgen des Unterbleibens dieser Behandlung.“

7. Auch der Rücktritt von der Behandlung (landläufig als Behandlungsabbruch bezeichnet) bedarf etwas mehr als aufatmend die Hände in den Schoß zu legen und zu murmeln: „Wie schön, der kommt nicht mehr.“ Denn wie lautet es im Gesetz? „Beabsichtigt ein/eine Angehöriger/Angehörige des zahnärztlichen Berufes von einer Behandlung zurückzutreten, so hat er/sie seinen/ihren Rücktritt dem/der betroffenen Patienten/Patientin oder dessen gesetzlichen Vertreter/Vertreterin rechtzeitig zu informieren.“ Für kieferorthopädische Patienten/-innen stelle ich mir unter „rechtzeitig“ eine Mindestfrist von drei Monaten vor. Damit wäre es bemühten Patienten/-innen vielleicht möglich, die üblicherweise einmonatigen Abstände von Behandlungsterminen ohne Unterbrechung zu organisieren. Würde der zurücktretende Kieferorthopäde ad hoc sagen: „Und zum nächsten Termin in einem Monat brauchen Sie gar nicht mehr zu mir zu kommen – es reicht!“, erscheint es für den Patienten wenig realistisch, zeitgerecht eine neue Ordination zu finden. Und auch die übernehmende Ordination braucht Zeit, um sich zu orientieren und einen Behandlungsplan zu entwerfen, den sie vertreten kann.

8. Wenn das Ausmaß der Verstimmung eine sachgerechte mündliche Information nicht zulässt (das gilt sowohl für die Ankündigung des Behandlungsabbruches als auch für die gebotene Aufklärung über die Folgen versäumter Termine) oder dies durch das Terminversäumnis des Patienten nicht möglich ist, dann lautet die übliche Empfehlung juridisch Erfahrener: „Schicken Sie einen eingeschriebenen Brief!“ Textbausteine für einen solchen Brief habe ich zusammengestellt. Je nach Situation könnte man sie so zusammenfügen, dass damit auch eine gezielte „Lenkung des weiteren Schicksals“ versucht wird: „beruhigend und einlenkend“, „verschärfend und drohend“ oder „endgültig unwiderruflich hart auf hart“. Doch ein Behandlungsabbruch bedeutet meist psychologischer Horror. Daher wird man wohl bestrebt sein, den Worst Case tunlichst zu vermeiden. Aber das Schicksal könnte es auch einmal anders wollen.

Denkbare Textbausteine für einen eingeschriebenen Brief
 

„Sehr geehrt…… !

Darf ich Sie freundlich darauf aufmerksam machen, dass Sie/Ihre Tochter/Ihr Sohn den vereinbarten Behandlungstermin am … versäumt haben/hat. Darf ich Sie deshalb an die Informationen zu Behandlungsbeginn erinnern. Ich darf Sie bitten, sich so bald wie möglich mit uns in Verbindung zu setzen.“ (Meist wird man’s vor einem solchen Brief telefonisch versuchen).

„Mit Bedauern und Sorge muss ich feststellen, dass Sie/Ihre Tochter/Ihr Sohn zum vereinbarten Behandlungstermin am … nicht erschienen sind/ist. Ich erinnere an die Aufklärung zu Behandlungsbeginn und die nachdrückliche Betonung der Notwendigkeit einer verlässlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Vielfältige Nachteile und auch konkrete gesundheitliche Schäden können die Folge sein, wenn die vorgesehenen Behandlungsabstände nicht eingehalten werden. Ich lade Sie ein, sich umgehend mit uns in Verbindung zu setzen.“

„Zusammen mit anderen Erfahrungen, die ich mit Ihnen/die meine Assistentinnen mit Ihnen machen mussten, so auch bezüglich des Gesprächstones, den Sie uns gegenüber verwendet haben, sehe ich die für eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit nötige unbefangene Vertrauensbasis sehr gefährdet/nicht mehr gegeben.“

„Ich werde deshalb Ihre Behandlung nicht mehr weiterführen und trete deshalb von der Behandlung zurück (wie dies im Paragraf 38 des Zahnärztegesetzes vorgesehen ist). Um Ihnen eine angemessene Übergangsfrist für die Konsultation einer anderen zahnärztlichen Ordination möglich zu machen, biete ich Ihnen noch zwei Behandlungstermine in meiner Ordination an, in denen ich die laufende Behandlung noch aktiv weiterführen werde. (Hoffentlich nimmt sie der Patient nicht wahr … - das wird man allerdings nur denken und nicht schreiben.) Sollten Sie jedoch Ihrerseits die gesamte Behandlung beenden wollen und nicht anderswo fortsetzen wollen, dann müssten Sie mir dies ausdrücklich umgehend mitteilen, da ich dann statt einer aktiven Weiterführung der Behandlung für die ordnungsgemäße Entfernung der verwendeten Apparatur und für die Schienung des bisher erreichten Zustandes sorgen würde. Dafür sind mindestens 2 Termine nötig, nunmehr eben die, die ich Ihnen noch anbiete.“

„Für die Fortführung der Behandlung in der von Ihnen in Zukunft gewählten Ordination werde ich die in der anderen Ordination benötigten Unterlagen zusammenstellen. Sie können diese nach vorheriger Anmeldung bei mir abholen; auch eine Zusendung per Post kann von Ihnen erbeten werden.“ 

Erschienen in der Dental Tribune Austria 1+2/2011

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