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„Mundgeruch kann multifaktoriell bedingt sein“

Priv.-Doz. Dr. Rainer Seemann
Anja Worm, DTI

Anja Worm, DTI

Mo. 29 Juni 2009

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LEIPZIG – Aphrodite bestrafte die Ehefrauen auf der Insel Lemnos mit übel riechendem Atem. Ihre Männer blieben fern und vergnügten sich mit Sklavinnen. Auch wenn heute die Folgen weniger drastisch sind, werden der Halitosis negative sozioökonomische Folgen zugesprochen. Priv.-Doz. Dr. Rainer Seemann beschäftigt sich seit 1998 mit dem Thema Mundgeruch und bot sieben Jahre lang eine Mundgeruchstunde an der Berliner Charité an. Anja Worm, DTI, sprach mit dem Experten über Behandlung und Therapiemöglichkeiten von Halitosis.

Was sind die Schritte einer Halitosis-Diagnose?
Der erste Schritt ist, dass man zunächst feststellt, ob Mundgeruch existiert oder nicht. Das klingt ungewöhnlich, aber es gibt Patienten, die keinen Mundgeruch besitzen, aber denken, dass sie ihn verströmen. Der zweite Schritt ist die Feststellung, von wo die Geruchsquelle herkommt. Häufig liegt die Ursache in der Mundhöhle, manchmal aber auch im HNO-Bereich oder es liegt eine internistische Erkrankung vor.

Halitosis kann eine Vielzahl von Gründen haben. Wie lange dauert es, bis ein Zahnarzt die richtige Ursache diagnostizieren kann?
Das kann sehr schnell gehen, wenn offensichtliche Geruchsquellen zu finden sind. Es hängt davon ab, ob es diese gibt. Wenn es komplizierter ist, dauert es länger. Dann kann man den Grund erst in der zweiten oder dritten Sprechstunde herausfinden.

Es gibt verschiedene instrumentelle und organoleptische Techniken zur Messung von Halitosis. Welche Methode ist zur Messung am besten geeignet?
Es gibt einen Goldstandard zur Messung des Mundgeruches. Der untersuchende Zahnarzt nutzt seinen Geruchssinn. Desweiteren stehen verschiedene Geräte zur Messung zur Verfügung, die aber alle ihre Vorteile und Nachteile haben. Für die Zahnarztpraxis, die nicht auf Halitosis spezialisiert ist, empfehle ich eine einfache organoleptische Methodik mit einer Skala, die maximal drei Schweregrade umfasst. Die Geruchsstärke wird über den Abstand zum Patienten festgelegt. Schweregrad eins liegt vor, wenn man sich dem Patienten stark annähern muss, um Mundgeruch wahrzunehmen, also ungefähr zehn Zentimeter. Bei Schweregrad zwei liegen 30 Zentimeter zwischen dem Patienten und dem Untersucher und bei Schweregrad drei ist der Mundgeruch bereits in einer Entfernung von einem Meter wahrnehmbar.

Die Therapie ist abhängig von den Ursachen der Halitosis. Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es, wenn die Ursache in der Mundhöhle zu finden ist?
Es gibt zwei Therapieformen. Die erste bekämpft die Symptome, also die Mikroorganismen, die den Mundgeruch verursachen. Das kann durch Zungenreinigung geschehen und eventuell durch chemische Substanzen. Alles ist zu empfehlen, was zur Steigerung der Mundhygiene führt. Die zweite Therapieform
ist eine tief greifende. Bei Mundgeruch sind die Ursachen nicht immer eindeutig, er kann multifaktoriell bedingt sein. Mehrere Faktoren, die für sich genommen noch kein Problem darstellen, kommen zusammen und lösen Mundgeruch aus. Zum Beispiel können die Faktoren viel Stress, wenig Trinken und die falsche Ernährung gemeinsam Mundgeruch auslösen. Diese Kofaktoren kann ich aber angehen und bekämpfen.

Was für präventive Maßnahmen kann der Zahnarzt dem Patienten empfehlen?
Generell alles, was für eine gute Mundhygiene sorgt. Präventiv, und das wird auch von Daten unterstützt, schadet es nichts, die Zunge zu reinigen und morgens wie abends das überschüssige Material abzustreifen. Selbstverständlich ist es auch hilfreich, regelmäßig eine professionelle Zahnreinigung durchführen zu lassen. Eine gesunde ausgewogenen Ernährung rundet das Maßnahmenpaket geeigneter Präventivmaßnahmen ab.

1999 gaben 52 Prozent der teilnehmenden Zahnärzte bei einer Umfrage an, dass sie nicht wissen, ob man Mundgeruch messen kann. Halitosis wurde also als ernstzunehmendes Problem noch nicht erkannt. Hat sich das Bewusstsein in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Problembewusstsein zugenommen hat. Dieses zeigt sich beispielsweise an der Verbreitung von Geräten zur Mundgeruchsmessung, sogenannten Sulfid-Monitoren, der Halimeter ist hierbei das verbreiteteste Gerät. Vor zehn Jahren besaßen vielleicht drei Zahnarztpraxen in Deutschland ein solches Messgerät, heute sind es circa 100. Was ich nicht glaube ist, dass der Patient mit Mundgeruch in jeder Praxis gut aufgehoben ist. Schließlich wird das Thema Halitosis, wie sie diagnostiziert und behandelt werden kann, an den Universitäten nur vereinzelt systematisch unterrichtet. Kurz gesagt: Es hat sich in den letzten zehn Jahren viel verbessert, aber es gibt noch viel zu tun, um das Thema zu enttabuisieren.

Halitophobie ist ein Problem, mit dem sich unter anderem auch Psychologen befassen. Wie oft tritt das Problem in der Praxis auf?
Erstmal finde ich den Begriff unglücklich. Halitophobie heißt streng genommen einfach nur, dass man Angst davor hat, Mundgeruch zu besitzen. In der Regel wird der Begriff Halitophobie jedoch dafür verwendet, Personen zu beschreiben, die zwanghaft davon ausgehen, Mundgeruch zu haben, obwohl dies objektiv nicht der Fall ist. In besonders schweren Fällen kann dies sogar zum Selbstmord führen. In diesen besonders schweren Fällen liegt meist eine psychische Erkrankung vor, die nicht in einer Zahnarztpraxis behandelt werden kann. Leichtere Formen bezeichnet man eher als Pseudohalitosis. In diesen Fällen kann auch ein Zahnarzt durch Aufklärung helfen und den Patienten aus seiner misslichen Lage befreien. Leider gibt es keine epidemiologischen Zahlen zum Phänomen der Pseudohalitosis. In meiner Mundgeruchstunde waren es 27 Prozent der Patienten, bei denen Pseudohalitosis festgestellt wurde. Nur einzelne Patienten waren durch nichts in der Welt davon zu überzeugen, dass kein unangenehmer Mundgeruch vorlag und wurden daher der Gruppe mit Halitophobie zugeordnet.

Man muss also unbedingt zwischen Pseudohalitosis und Halitophobie trennen?
Streng genommen ja, nur hat man als Zahnarzt nicht die Ausbildung festzustellen, ob wirklich eine Halitophobie existiert, denn diese ist in der Regel nur ein Symptom einer psychischen Grunderkrankung.

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