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Burn-out – Selbstausbeutung auf Raten

Burn-Out-Betroffene haben sich oft viel zu hohe Ziele gesteckt und sich kaum Pausen gegönnt. (Foto: Sinisa Bobic)
Dr. med. Gisela Hruzek

Dr. med. Gisela Hruzek

Fr. 10 Dezember 2010

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WIEN – Aktuelle Studien in Österreich belegen, dass zumindest 20 Prozent der Ärzte/-innen und Zahnärzte/-innen manifeste Burn-out-Symptome aufweisen, 50 Prozent gelten laut Ärztekammer als gefährdet. Eine dramatische Situation, zumal die Frühmorbidität, Frühmortalität und die Suizidrate bei der Berufsgruppe höher ist als in der Normalbevölkerung.

Burn-out gefährdet weiter die Qualität der ärztlichen Leistung. Schlechte Kommunikation mit den Patienten/-innen, erhöhte Fehleranfälligkeit und verminderte Effizienz sind augenscheinliche Beispiele für Folgen von Übermüdung, Erschöpfung und Frustration. Aufgrund dieser alarmierenden Daten gilt es, die individuelle Wahrnehmung für erste Anzeichen im persönlichen und beruflichen Umfeld zu schärfen und möglichst frühzeitig nachhaltige, präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Was macht Burn-out gefährlich?
„I have done too much for too many for too long with too little regard for myself.“ *

Der Begriff Burn-out wurde 1974 von dem New Yorker Psychoanalytiker Herbert Freudenberger aufgrund eigener Erfahrungen und Beobachtungen geprägt und beschrieb die emotionale Erschöpfung von Personen in sozialen Berufen. Als weitere Kernsymptome des Burn-out gelten Depersonalisation (Abgestumpftheit, Gleichgültigkeit) und Leistungsminderung. Burn-out ist mittlerweile als „Ausgebranntsein“ oder „Zustand der totalen Erschöpfung“ in der „International Classification of Diseases and Health related Problems“ (ICD 10) mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst. Es ist ein höchst individueller Prozess sowohl, was die Genese betrifft, als auch die Erscheinungsform. Rund 130 Symptome werden in der Fachliteratur mit Burn-out in Verbindung gebracht.

Aus meiner Sicht besteht bei Burn-out ein extremes Ungleichgewicht von Energieaufnahme und -abgabe. Es ist ein hoch komplexes psychovegetatives Überlastungssyndrom mit vielfältigen Erscheinungsformen zunehmender bis totaler Erschöpfung, das den Menschen auf allen Ebenen (geistig, seelisch und körperlich) betrifft. Bislang gibt es keine wissenschaftlich eindeutige und einheitlich valide Definition der Erkrankung, was die Diagnose zusätzlich erschwert und ein frühzeitiges zielgerichtetes Intervenieren hinauszögert. So werden die eigentlichen Ursachen oft nicht gesehen. Es folgen langwierige Untersuchungen, die keine klare Diagnose bringen, und nur erfolglose Therapieversuche einzelner Symptome. Neben der Komplexität des Themas und seiner schleichenden Entwicklung trägt auch das Herabspielen der Symptome durch die Betroffenen und ihr soziales Umfeld – nach dem Motto „Schalt doch einfach mal ab“ – dazu bei, dass das Erkennen und damit die Behandlung des Burn-outs verzögert werden. Betroffene brennen aus, gerade weil sie nicht abschalten können.

Burn-out basiert auf inneren Fallen, in die der Betroffene gerne hineintappt: Oft hat er ein hohes Anspruchsniveau, was die eigenen Leistungen, die Einnahmen, die Ziele und auch den Status betrifft. Unrealistisch hoch gesteckte Ziele und überhöhte Erwartungen werden unter unverhältnismäßig hohem persönlichen Einsatz versucht zu er- reichen. Die zerstörerische Kraft entsteht dabei durch das zu lange Übergehen der eigenen Bedürfnisse, zu geringe Regenerationsphasen und Durchhalten eines vermeintlich kurzen Anstrengungszustandes unter Aufbietung sämtlicher Energiereserven und Ressourcen. Menschen mit Burn-out haben meist mehr Angst davor, stehen zu bleiben und zur Ruhe zu kommen, als sehenden Auges weiterzurennen. Es ist eine Selbstüberschätzung mit einem hohen gesundheitlichen Preis. Oft höre ich: „nur noch dieses eine Projekt …“ oder „nur noch diese eine Aufgabe …“ Die „nur noch“-Liste lässt sich je nach individuellen Schwerpunkten beliebig fortsetzen. Längst überfällige, dringendst erforderliche Pausen dazwischen, um die eigenen Batterien aufzuladen, werden immer weiter in die Zukunft verschoben, solange bis am Ende gar nichts mehr geht. Ein zentrales Thema dabei ist die Verleugnung der Endlichkeit und Begrenztheit der eigenen Kräfte.

Risikofaktoren
Aus meiner langjährigen Erfahrung mit Betroffenen beobachte ich eine enge Korrelation einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur, einhergehend mit verstärkenden Rahmenbedingungen. Da sind zum einen prädisponierende Faktoren, die in der Persönlichkeit verankert sind:

  • Perfektionismus/Zwanghaftigkeit
  • Idealismus/Überidentifikation
  • Ehrgeiz/hohes Engagement
  • Konkurrenzdenken
  • geringes Selbstwertgefühl
  • hohes Bedürfnis nach Anerkennung
  • Schwierigkeiten sich abzugrenzen/nein zu sagen
  • ausgeprägte Willensstärke
  • Schwierigkeiten, persönliche Schwäche und Hilflosigkeit einzugestehen.

Rahmenbedingungen und Stressoren am Arbeitsplatz, die dann das Burn-out-Risiko bei einer persönlichen Prädisposition signifikant erhöhen und schlussendlich zum totalen Ausbrennen führen können, sind

  • hoher Zeit- und Leistungsdruck
  • qualitative/quantitative Arbeitsüberlastung
  • zu geringer Handlungsspielraum
  • mangelnde Anerkennung
  • zu geringe Entlohnung
  • Wirtschaftlichkeits- und Konkurrenzdruck
  • Konflikte im sozialen Umfeld

Entscheidend für die Entwicklung eines Burn-out sind oft weniger die tatsächlichen Anforderungen, als vielmehr die innere Haltung und die subjektive Bewertung der Situation.

Der Beginn des Burn-outs ist meist schleichend und leise. Eine anfänglich gesteigerte Aktivität und Leistungsfähigkeit weicht zunehmend Müdigkeit, Lustlosigkeit, Angespanntheit und dem Gefühl, mit Vollgas auf der Stelle zu treten. Der Körper befindet sich in einem Daueralarmzustand und gerät zunehmend aus der Balance. Über eine neuro-biochemisch-hormonelle Rückkoppelung wird so lange Energie bereitgestellt, um eine perzipierte Bedrohung abzuwehren, bis alle Reserven erschöpft sind. So kommt es neben einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen wie Noradrenalin und Adrenalin auch zur Erhöhung von Cortisol, der stärksten Immunbremse des menschlichen Körpers. Jüngste Forschungsergebnisse der Western Ontario Universität in London, Kanada, belegen erstmals Ablagerungen von Cortisol im Haarschaft bei chronischer unbewältigter Stressbelastung, ein Indikator für stressbedingte Folgeerkrankungen (etwa Herzinfarktrisiko).

Alarmsignale des Körpers
Der Körper sendet anfangs dezente, später immer deutlichere Signale. Hartnäckige Verleugnung der eigenen kritischen Situation und Verdrängung von Alarmsignalen gefährden auf Dauer nachhaltig die Gesundheit. Um das Risiko eines Burn-out zu senken und die Gesundheit zu schützen, ist es daher essenziell, die Wahrnehmung zu schärfen und die ersten Signale zu erkennen. Folgende Symptome treten gehäuft auf und können sich gegenseitig beeinflussen und verstärken:

  • Physisch: die gesamte Palette psychosomatischer Beschwerden wie Herzrasen, Schwitzen, Schwindelgefühle, Müdigkeit, Schlafstörungen, Tinnitus, Sehstörungen, Nackenverspannungen, Engegefühl in der Brust, Magenkrämpfe, erhöhte Infektanfälligkeit, Schmerzen (im Rücken, Kopf, Bauch und den Gelenken) u.a.
  • Mental: Gedankenkreisen, Grübeln, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Schwarz-Weiß-Denken, Tunnelblick (Ausblenden essenzieller Lebensbereiche), Verdrängen, Realitätsverlust
  • Emotional: Unzufriedenheit, Nervosität, Reizbarkeit, Anhedonie (Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden), Versagensängste, Wut, Trauer, Schuldgefühle, Antriebslosigkeit, Verzweiflung, Depression
  • Verhaltensbezogen: Kompensationsmaßnahmen wie erhöhte Verwendung von Suchtmitteln (Alkohol, Medikamente, Schlafmittel, Aufputschmittel, Nikotin), veränderte Essgewohnheiten (Fehl-, Über- und Unterernährung), gesteigertes Konsumverhalten (Kaufrausch) u.a.

Der „Ausgebrannte“ erlebt seine Umwelt zunehmend als nicht mehr kontrollierbar und zieht sich immer mehr in sich zurück, ohne Hilfe von außen, etwa von Freunden, Verwandten oder professionelle Unterstützung anzunehmen. Typische Aussagen, die auf eine emotionale Erschöpfung hinweisen: „Ich fühle mich leer“‚ „Wenn ich 50 bin, höre ich mit der Praxis auf“‚ „Ich habe für nichts mehr Zeit“, „Wozu mache ich das überhaupt?“, „Ich brauche dringend Urlaub“ oder „Ich habe an nichts mehr Freude“.

Die drei Phasen des Burn-out-Syndroms
Aus meiner Erfahrung können dabei drei grundlegende Phasen unterschieden werden, wobei im Zentrum ein dramatisch zunehmender Energieverlust steht. Die erste Phase ist zunächst geprägt von idealistischer Begeisterung, hohem Engagement und verstärktem Energieeinsatz, einem Gefühl der Unentbehrlichkeit, gefolgt von zunehmender emotionaler und physischer Erschöpfung. Selbst nach einem verdienten Jahresurlaub stellt sich das Gefühl der Erholung nicht ein. Die zweiten Phase bestimmen Unzufriedenheit, Gereiztheit und eine zynische Einstellung, die den oder die Betroffene vorher nicht gekennzeichnet hat. Resignation, Gleichgültigkeit, Gefühllosigkeit und Kontaktvermeidung beruflich und privat kommen hinzu. Spätestens in dieser Phase sollte Burn-out erkannt werden. In der dritten und letzten Phase verliert der Betroffene sein gesamtes Selbstvertrauen, die eigene Kompetenz wird infrage gestellt, Leistungsfähigkeit und Produktivität nehmen rapide ab. Erschöpfung stellt sich schon bei kleinsten Anfordernissen des täglichen Lebens ein, die mit maximalem Energieaufwand in Angriff genommen werden. Die Folge ist der totale Zusammenbruch, der oft zur lang andauernden Arbeitsunfähigkeit, und im extremen Fall zur längerem stationären Aufenthalt oder gar Suizid führt.

* Diesen Satz habe ich mehrfach bei meinen Vorträgen in Princeton/USA von Betroffenen gehört.

Erschienen der Dental Tribune Austria 11/2010

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